Donnerstag, 14. Mai 2015

Verfallene Dörfer


Eine Wiedergeburt für Výškovice?

Auch Goethe soll im Jahr 1821, als 72-Jähriger, mehrmals durch das Dorf Wischkowitz/Výškovice gekommen sein. Er hielt sich damals zum ersten Mal im drei Jahre zuvor gegründeten Kurort Marienbad auf und begab sich des Öfteren zum Prämonstratenserkloster Tepl/Teplá hinüber. Diskutierte er mit dem naturwissenschaftlich gebildeten Abt Karl Kaspar Reitenberger über Heilquellen und deren Entwicklung? Oder beichtete er ihm seine leidenschaftliche Liebe zur gerade 17-jährigen Ulrike von Levetzow, der „lieblichsten der lieblichsten Gestalten“, die ihn – nach der Abfuhr seitens Ulrike – zwei Jahre später zur „Marienbader Elegie“ anregen sollte? „Mich treibt umher ein unbezwinglich Sehnen, / Da bleibt kein Rat als grenzenlose Tränen“, weint er der unerfüllten Liebe zu der um 55 Jahre jüngeren Ulrike nach.

Eine zweite Leidenschaft Goethes war schon immer die Geologie. Auch bei seinen Aufenthalten in Marienbad. Er und seine Begleiter befuhren einen „schlimmen Waldweg“, notiert er am 21. August 1821, doch „wurden wir dadurch belohnt, dass wir unvermutet Basalt fanden“. Auf dem 847 m hohen Berg Podhora, einem großartigen Aussichtspunkt, auf dem man, wenn man sich auf diesem Gebiet besser auskennt als ich, auch Seidelbast, Wolfseisenhut, Quirlblättrige Weißwurz und Tannenbärlapp antreffen kann.

Also Geologie und Botanik. Kein Wort bei Goethe zur Sprachgrenze, zum Deutschen hier und zum Tschechischen da. Das sollte erst sehr viel später, mehr als hundert Jahre später, ein aktuelles Thema und brisantes Problem werden, sollte zu dramatischen Ereignissen führen. Vor dem Zeiten Weltkrieg, während des Kriegs und unmittelbar nach Kriegsende. Als die von den Sudetendeutschen bewohnten Orte verlassen wurden, eine Neubesiedlung nicht immer gelang und viele Ortschaften verfielen.


Traditionelle Architektur in Výškovice
 
Über diese Veränderungen gerade in der Landschaft wird an diesem Wochenende in Pilsen diskutiert. Von tschechischen und deutschen Fachleuten. Höhepunkt der dreitägigen, von tschechischer wie deutscher Seite geförderten Tagung ist eine Exkursion nach Výškovice. Nicht auf Goethes Spuren, sondern zur Einweihung (wenn man das in einem überwiegend atheistischen Land wie der Tschechischen Republik sagen kann) einer Land-Art-Installation.



Die barocke Kapelle „Maria vom guten Rat“ in Výškovice

Ich war schon vor ein paar Tagen dort. Auf „schlimmen (Wald-)Wegen“, um es mit Goethe zu sagen. Auf den letzten Kilometern einer gewundenen, schmalen Straße kein Haus, kein Mensch, kein Wegweiser. Nur Kurven und Wälder, Kurven und Wälder. Bis ich den Ort erreichte. Mit leichtem Herzklopfen. Ort? Ja, ein Ort im Sinne von „Stätte“ sicher. Aber auch eine Ortschaft? Kann man zwei, drei Häuser  – wiewohl in der reizvollen, traditionellen Fachwerkbauweise –, eine baufällige Kapelle, eine alte Linde und ein paar Wassertümpel als „Ortschaft“ bezeichnen, als „Dorf“?

Wird Výškovice, das zu einem Symbol der verfallenen und verfallenden westböhmischen Dörfer geworden ist, eine Auferstehung erleben? Ich würde es ihm wünschen.

Der Innenraum der barocken Dorfkapelle: Auf einem Schild wird vor dem Betreten gewarnt.


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