Freitag, 20. November 2015

Die Katastrophe von Bolevec inspirierte Karel Čapek zu seinem berühmten Roman »Krakatit«


Nachdem die Stadtschreiberzeit von Wolftraud de Concini leider vorüber ist, bloggen auf ihrer Seite bis Ende des Jahres Schülerinnen des Geschichtslehrers Antonín Kolář über verschiedene Pilsener Themen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa.

Im Jahr 1917 ereignete sich in der Munitionsfabrik in Pilsen eine tragische Explosion, die als die Katastrophe von Bolevec in die Geschichte einging. Seit 1901 hatte sich hier ein Schießplatz für Kanonen befunden, die man in den Škoda-Werken im Zentrum Pilsens zusammenbaute. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde damit begonnen hier Munition herzustellen. Die größte Munitionsfabrik in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie lag innerhalb von Sekunden in Trümmern. Alle Gebäude bis auf eines waren vollständig zerstört. Eine ganze Weile konnte man aber nicht mit den Aufräumarbeiten sowie der Bergung der Verletzten und Toten beginnen. Es flogen immer noch Teile der explodierenden Munition durch die Luft und jegliche Unachtsamkeit hätte zu weiteren Detonationen führen können. 

Von Helena Matějková, Masaryk-Gymnasium Pilsen

Die verheerenden Explosionsfolgen
Foto: © Westböhmisches Museum in Pilsen

Anfang des 20. Jahrhunderts verlegten die Škoda-Werke ihren Feuerübungsplatz von Doudlevec nach Bolevec und schon 1901 begann man hier mit den ersten Schießübungen. Das Objekt war das größte Munitions- und Versuchswerk im damaligen Österreich-Ungarn. Das 60 Hektar große Grundstück mit insgesamt 57 Gebäuden, darunter auch die Werkstätten und Lagerräume, war mit einem Stacheldraht eingezäunt und Maschinengewehrtürmen geschützt. In den Škoda-Werken arbeiteten etwa 3.000 Menschen, hauptsächlich Frauen, Mädchen und Jungen aus Pilsen und Umgebung.

Während des Ersten Weltkriegs bemühte sich die Fabrikverwaltung, an der Kriegsmaschinerie möglichst viel zu verdienen, und so wurde in sehr hohem Tempo gearbeitet, um die steigenden Anforderungen der Kriegsfront schnell erfüllen zu können. Neue Objekte wurden ohne amtliche Genehmigung gebaut, man teilte den zuständigen Behörden höchstens knapp die Existenz eines bereits errichteten Gebäudes mit. Aufgrund maximaler Sparmaßnahmen wurden grundlegende Sicherheits- und Hygienevorschriften nicht eingehalten. Die Werkstätten und Lagerräume waren überfüllt mit fertiger Munition und den für ihre Herstellung notwendigen Materialien. Auf dem Werksgleis häuften sich überfüllte Waggons, oft mit gefährlichem Material.

Das Massengrab der Katastrophenopfer auf dem Friedhof von Bolevec. Jedes Jahr wird in der sich daneben befindenden St. Adalbert-Kapelle mit einer Messe der Explosion in der Munitionsfabrik gedacht.
Foto: © František Kabát, sdruzeniboleveckychrodaku.cz
Am 25. Mai 1917 kam es um 13.32 Uhr im Gebäude Nummer 10 zum ersten Ausbruch. Von dort breiteten sich die Explosionen nach und nach auf immer weiteren Teilen des Areals aus. Zur verheerendsten Detonation kam es dann um 15.08 Uhr, als ein riesiges Sprengstofflager in die Luft flog. Über der Munitionsfabrik erschien eine rote, atompilzartige Säule aus stickigem Rauch. Die Druckwelle war so stark, dass es bis ins Stadtzentrum zu Schäden kam, wo die Erschütterungen Fensterscheiben zerstörten oder Fenster und Türen aus ihren Rahmen rissen und sogar an manchen Orten Risse an den Gebäuden erschienen. Die Munitionsfabrik wurde innerhalb eines Augenblicks zu einer großen Ruine, auch der angrenzende Wald fing an zu brennen.

Die Karte der Munitionsfabrik in Bolevec
Foto: © Maják Pilsen
Etwa 700 Verletzte benötigten ärztliche Hilfe. In die Särge wurden Leichen oder sterbliche Überreste gelegt, es gab angeblich über 200 Tote. Manchmal befanden sich in einem Sarg Überreste mehrerer Menschen. Ihre Angehörigen versuchten sie an den unbeschädigten Ringen und Armbändern zu identifizieren. Manche Leichen waren aber so entstellt, dass man nicht einmal ihr Geschlecht bestimmen konnte.
Zeitgenössische Korrespondenz über die Explosion in der Munitionsfabrik
Foto: © Maják Pilsen
Bis zum Abend folgten noch 18 weitere größere Explosionen und noch bis zum Morgengrauen flogen die Munitionsschüsse bis ins kilometerweit entfernte Košutka und Třemošná. Die erschrockenen Bewohner der Stadt und der anliegenden Gemeinden versteckten sich in Wäldern, Feldern und in Steinbrüchen. Jegliches Alltagsleben stand still, die Geschäfte und die Schulen blieben geschlossen, es wurde noch nicht einmal in den Ämtern und in den Fabriken gearbeitet.
Die Explosion der Munitionsfabrik von Pilsen aus gesehen
Foto: © Maják Pilsen
Auf dem Friedhof von Bolevec wurde ein drei Meter tiefes Massengrab ausgehoben, in dem im Laufe des Begräbnisses am 29. Mai insgesamt 53 Särge beigesetzt wurden. In den darauffolgenden Tagen und Wochen hier begraben wurden weitere Opfer, die man bei den Aufräumarbeiten fand oder die in den Krankenhäusern ihren Verletzungen erlegen waren. Das Massengrab mit insgesamt 143 Särgen wurde erst im August endgültig zugeschüttet. Drei der Opfer wurden auf Wunsch ihrer Verwandten in Třemošná und eines in Druztová beerdigt. Zum Gedenken an die Opfer ließen hier die Škoda-Werke in den Jahren 1917 bis 1920 die Kapelle des Heiligen Adalbert erbauen. Die österreichischen Ämter versuchten, die Nachrichten über die Katastrophe zu beschönigen, man sprach in den offiziellen Medien von unerheblichen Schäden und etwa fünfzehn Opfern.

Die Munitionsfabrik in Bolevec nach der Explosion
Foto: © Maják Pilsen
Zur Explosion kam es im Gebäude Nr. 10, wo Wurfminen hergestellt wurden. Mängel an diesen hatte der Meister Vojtěch Žižka dem Fabrikdirektor Rudolf Thiel gemeldet. Thiel winkte aber angeblich ab, empfahl, die defekten Stücke zur Seite zu legen und begab sich in die Mittagspause. Als Ursache für die erste Explosion gilt also ein Fehler an einer der Minen. Eine eventuelle Explosion einer Mine hätte allerdings nicht solche Schäden angerichtet, wenn die grundlegenden Vorschriften eingehalten worden wären. Die Explosion hätte wahrscheinlich nur das Objekt Nummer 10 zerstört und so wären nur wenige Menschen getötet oder verletzt worden. Allerdings war die Munitionsfabrik überfüllt und darüber hinaus wurde sie mit mehreren Waggons Trinitrotoluol beliefert. Diese mussten sofort ausgeladen werden, um Feuchtigkeitsschäden vorzubeugen, und aus Platzmangel lagerte man das meiste Material unter den Arbeitstischen in Gebäude Nummer 10. Von den 100 hier befindlichen Personen überlebten nur vier, unter den Toten befand sich auch Žižka. Thiel beging später im Gefängnis Selbstmord.

Karel Čapeks Roman Krakatit
Die Tragödie von Bolevec inspirierte Karel Čapek zu seinem Roman Krakatit. Čapek war in dieser Zeit Erzieher in der Familie des Fürsten Lažanský in Chýše/Chiesch bei Žlutice/Luditz. Das ganze Ereignis beobachtete er aus dem Fenster des Schlosses, etwa 40 Kilometer Luftlinie von Pilsen entfernt. Später beschrieb er das Geschehen indirekt in seinem Buch als einen Ausbruch des Vulkans Krakatoa. Die Hauptfigur des Romans ist der Chemiker Ing. Prokop, dem es gelingt, einen einmalig starken Sprengstoff herzustellen. Er nennt ihn Krakatit, nach dem indonesischen Vulkan Krakatoa. Am 21. August 1883 hatte sich hier die zweitstärkste Explosion der Neuzeit abgespielt. Eine besondere Eigenschaft des Krakatit besteht darin, dass es scheinbar grundlos explodieren kann.  

Übersetzung aus dem Tschechischen: Kristina Veitová und Tanja Krombach

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