„Im Jahr 1415 und 600 Jahre später“
Vom Denkmalsockel herab wendet er, von dunklen Wolken umhüllt, der Kirche ostentativ
den Rücken zu. Ostentativ-herausfordernd? So hätte sich Mistr Jan Hus – denn
ihm ist das Monument gewidmet – der Kirche gegenüber nicht verhalten wollen.
Das 1921 aufgestellte Jan-Hus-Denkmal in Radnice |
Die barocke Wenzelskirche steht am Hauptplatz von Radnice, einem
westböhmischen Städtchen rund 20 Kilometer nordöstlich von Pilsen. Und schon im
Jahr 1921, also eigentlich kurze Zeit nach der Auflösung der
Habsburgermonarchie und der Gründung der ersten Tschechoslowakischen Republik,
spendeten die Bürger von Radnice Geld zur Errichtung des Jan-Hus-Denkmals. Denn
der um 1369 geborene tschechische Prediger und Reformator war im 19. und 20. Jahrhundert
zum Sinnbild der gegen Fremdherrschaft aufbegehrenden, nationalbewussten Tschechen
erhöht worden. Was er wahrscheinlich gar nicht gewollt hätte. Sicher, er hatte
auf Tschechisch gepredigt und die Missstände in der Kirche angeprangert, deren
hohe Kirchenämter besonders in deutschen Händen waren. Auch hat er – zur
Verzweiflung aller Tschechisch-Schüler – in dem ihm zugeschriebenen Traktat „De
orthographia bohemica“ die an tschechischen Buchstaben angebrachten
diakritischen Zeichen eingeführt.
Doch Jan Hus war es, rund hundert Jahre vor Martin Luther, vor allem darum
gegangen, die etwas altersschwere, unbewegliche und moralisch nicht immer
fleckenlose Kirche zu modernisieren und zu verbessern. Er geriet dabei – aber
es ist vermessen, sein Leben und Wirken in wenige Worte fassen zu wollen – in
die Mühle zwischen Päpsten und Gegenpäpsten, Kirche und Königtum und wurde am
6. Juli 1415 während des Konzils von Konstanz zum Feuertod verurteilt.
Jan Hus auf dem Scheiterhaufen, aus der 1484/85 verfassten Spiezer Chronik |
Schon Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der 6. Juli in
Tschechien (damals Tschechoslowakische Republik) zum Staatsfeiertag erhoben,
zum Den upálení mistra Jana Husa, dem „Tag der Verbrennung von Jan Hus“. In diesem unserem Jahr 2015 nun wird weltweit
der 600. Todestag des christlichen Theologen begangen, mit Ausstellungen,
Vorträgen, Tagungen, Theaterstücken, Verfilmungen und was sonst alles zu einem
solchen Anlass auf die Beine gestellt werden kann.
Auch Pilsen hat eine Jan-Hus-Ausstellung ausgerichtet beziehungsweise von
den Hus-Museen in Konstanz und Tábor übernommen. Im Museum für Kirchenkunst im
ehemaligen Franziskanerkloster sind bis zum 31. Juli 14 Text-Bild-Tafeln zum
historischen Umfeld wie zum Leben und Wirken von Jan Hus zu sehen, ergänzt
durch Exponate des Westböhmischen Museums Pilsen.
Eine lehrreiche Ausstellung – mit einer amüsanten Note: Im Jahr 1922 gab
die Stadt Konstanz, wo Jan Hus den Tod gefunden hatte, Not-Papiergeld in
verschiedenen Werten heraus. Auf dem 100-Mark-Schein ist zu lesen: „O
Hus, um deines Glaubens Lehr / würdest du heut nit verbronnen mehr / dieweil
durch schnöden Wuchers List / das Brennholz viel zu teuer ist“. Wozu ein
historisches Ereignis nicht alles genutzt werden kann!
600. Todestag hin, 600. Todestag her – eine Rehabilitierung des als Ketzer
verbrannten Reformators Jan Hus seitens der katholischen Kirche steht immer
noch aus. Doch erste Anzeichen einer Wende sind zu bemerken: Papst Franziskus
feierte vor Kurzem in Rom eine Versöhnungsliturgie, gemeinsam mit
Kirchenvertretern aus der Tschechischen Republik. Auch der Pilsner Bischof
František Radkovský war dabei. Er scheint bei diesem Prozess zur gerechten
Beurteilung von Jan Hus eine nicht unbedeutende Rolle zu spielen.
Wer weiß, wann der Denkmal-Hus in
Radnice sich wieder ganz der (Wenzels-)Kirche zuwenden kann?
Dieses Jan-Hus-Denkmal in Klášter beim Pilsen-nahen Städtchen Nepomuk erinnert an das Jahr 1925, als der 6. Juli zum Staatsfeiertag erklärt wurde. |
Noch eine Nachbemerkung:
Auf der (heute) tschechischen Präsidentenstandarte sind seit der Zeit von
Tomáš Garrigue Masaryk, der von 1918 bis 1935 tschechoslowakischer
Staatspräsident war, folgende Hus-Worte zu lesen: „Pravda vítězí“ – „Die
Wahrheit siegt“. Allerdings ist das Zitat nicht vollständig wiedergegeben: In
Wirklichkeit lautet es „Pravda Páně vítězí“ – „Die
Wahrheit des Herrn siegt“. Ein kleiner, aber gewiss nicht geringfügiger
Unterschied. Denn dieser „Herr“ wird aus dem öffentlichen wie privaten Leben in
Tschechien bis heute gern ausgeklammert.
(Západočeské
muzeum v Plzni / Muzeum církevního umění plzeňské diecéze – Westböhmisches
Museum Pilsen / Museum für Kirchenkunst der Diözese Pilsen)