Mittwoch, 26. August 2015

Die Pilsener Madonna heilte Kranke und bekehrte Sünder


Eine der bedeutendsten künstlerischen Sehenswürdigkeiten der Stadt, die Pilsener Madonna, wurde seit jeher nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch für ihre Heilkräfte verehrt und angebetet. Viele Pilsener waren bereit, ihren Einfluss auf ihre eigene Gesundheit zu bezeugen. Die Madonna bestrafte aber gleichermaßen auch die Sünder.

Wie Sie in Wolftraud de Concinis letztem Blogbeitrag vor ihrer Sommerpause lesen konnten, bloggen hier im August Schülerinnen von Antonín Kolář, Masaryk-Gymnasium Pilsen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa. Heute: Tereza Mašková
Die Pilsener Madonna auf dem Altar in der St.-Bartholomäus-Kathedrale.
Foto: Radovan Kodera, aus: František Frýda/Jan Mergl, Pilsen/Plzeň. Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch diewestböhmische Metropole, Regensburg: Schnell & Steiner/Deutsches Kulturforum östliches Europa 2015

Die berühmte Statue der Jungfrau Maria befindet sich heute am Altar der Pilsener St. Bartholomäus-Kathedrale. Die Figur aus Tonschiefer ist 1, 34 Meter groß und in ein reich gefaltetes Kleid gehüllt. Die ursprünglichen Farbtöne der Köpfe der Heiligen Mutter und des Christkindes blieben bis heute, erhalten. Am meisten fesselt die Betrachter aber vermutlich das Gesicht der Pilsener Madonna. Denn es sieht so aus, als wäre es nach der Vorlage eines echten menschlichen Gesichts geschnitzt worden, was damals bei ähnlichen Statuen eher ungewöhnlich war.

Mit der Entstehungsgeschichte der Madonna, die um das Jahr 1390 angefertigt wurde, sind viele Legenden verbunden. Eine von ihnen besagt, die Statue sei von einem Blinden geschaffen worden, der keinerlei Erfahrung mit der Bildhauerei gehabt hätte. Die Jungfrau Maria gab ihm angeblich das nötige Werkzeug und führte seine Hand bei der Arbeit. Nachdem das Werk vollendet war, schenkte sie ihm als Belohnung sein Augenlicht zurück.

Einer anderen Legende nach wurde die Madonna von einem Mönch angefertigt. Er verliebte sich in ein wunderschönes junges Mädchen und verewigte ihr Gesicht in der Statue. Da aber solch eine Zuneigung einem Mönch untersagt war, blieb sie für lange Zeit versteckt. Bis die Ritter des Deutschen Ordens sie für den Altar in der St. Bartholomäus-Kathedrale erbaten.

Zu den wahrscheinlich bekanntesten Geschichten der volkstümlichen Überlieferungen und Sagen gehört die von den angeblichen Heilkräften des Standbilds. Viele Bürger waren bereit zu bezeugen, gar zu schwören, dass die Madonna sie oder ihre Kinder geheilt hatte. Sie befreite beispielsweise Jan Arnošt Stozce von seinen unerträglichen Schmerzen in der Brust und Magdalena Svobodová von ihrer starken Migräne. Andere, wie Tomáš Martinec oder Anna Lechnerová erzählten, dass sie vor der Statue niederknieten und für ihr krankes Kind beteten, das mehr tot als lebendig war und bei dem keine menschliche Hilfe mehr etwas auszurichten vermochte. Sie schworen, dass, als sie nach ihrer Rückkehr aus der Kirche auf das Schlimmste gefasst waren, ihr Kind wie aus dem Nichts die Augen öffnete, anfing zu sprechen und bald seinen Appetit zurückerlangte. Der Sohn von František Šmuvaria kam mit einem verdrehten Ärmchen zur Welt. Nachdem der verzweifelte Vater die Madonna um Hilfe gebeten hatte, wurde die deformierte Kindeshand wie durch ein Wunder begradigt.

Aber nicht nur die Kranken holten sich bei der Madonna ihren Segen. Der Regimentskommandeur Karel Příchovský, der mit seiner Armee in Pilsen verweilte, hörte von der Statue und brachte ihr eine besondere Ehrfrucht entgegen. Vor der Schlacht bei Nördlingen holte er sich ihren Segen und besiegte später den Fürst Bernard von Weimar. Zum Dank schenkte er der Statue einen wunderschönen Gurt, den er von seinem Rivalen erbeutete. Ob das aber die Statue zu schätzen wusste, bleibt ungewiss.

Die Pilsner Madonna wurde so berühmt, dass Menschen aus der ganzen Umgebung kamen, um sie mit eigenen Augen zu sehen und ihr ihr Leid zu klagen. Vielen von ihnen hat die Jungfrau Maria wirklich geholfen.

Wir haben aber nicht nur Berichte über ihre heilenden Taten, sondern auch darüber, dass sie von Zeit zu Zeit Sünder bestrafte, die die Statue beflecken wollten. Viele Diebe, die versuchten, sie zu stehlen, berichteten, dass ihnen die Madonna erschienen sei und sie gewarnt habe, dass sie sterben würden, wenn sie ihre Tat begingen. Die meisten von ihnen begannen dann auf ihr Gewissen zu hören und entschieden schließlich, sich das Leben freiwillig zu nehmen.

Einer anderen Sage zufolge zog sich ein sehr begabter Lehrling jeden Abend in einen Keller zurück, um an einer Kopie der Madonnenstatue zu arbeiten. Eines Tages tauchte im Keller sein Meister auf, und als dieser sah, dass der Junge ihn mit seiner Arbeit überragte, wurde er zornig und ermordete ihn. Danach gab er das Werk als sein eigenes aus. Tags darauf verschwand die Statue aus dem Keller, der Meister starb bald darauf an einer schweren Krankheit. Zur Strafe für sein Verbrechen spukt er angeblich bis heute in dem Keller, in dem er den Mord an seinem Lehrjungen beging.

Man erzählte sich auch, dass am Ende der Sächsischen Straße in Pilsen eine Statue der Jungfrau Maria mit einem gespaltenen Schädel stand. Der Metzger, der in dem Haus wohnte, kam angeblich eines Tages aus der Kneipe betrunken nach Hause. Da es ihm kalt war, schnappte er sich eine Axt und machte sich daran, die Statue zu Kleinholz zu verarbeiten, um das Feuer zu füttern. In dem Moment, in dem die Axt in das Holz hineinschlug, fing der Kopf der Jungfrau Maria an zu bluten. Der Metzger erschrak und brach sein Sakrileg ab. Und obwohl er immer stark und gesund gewesen war, erkrankte er bald darauf und starb.

Die Pilsener Madonna finden wir heute nicht nur in der Kirche, sondern als Kopie auch auf der Pestsäule am Platz der Republik. Das Kind in ihren Armen hält anstatt eines Apfels einen Totenschädel in der Hand, als Symbol für schwere Zeiten während der Pestepidemien.


Übersetzung aus dem Tschechischen: Kristina Veitová

Montag, 17. August 2015

»Gestalte deine Stadt«

Das Projekt machte aus den Pilsenern Gärtner, die ihre erblühende Ideenvielfalt pflegten

Wie Sie in Wolftraud de Concinis letztem Blogbeitrag vor ihrer Sommerpause lesen konnten, bloggen hier im August Schülerinnen von Antonín Kolář, Masaryk-Gymnasium Pilsen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa. Heute: Tereza Štaudová

Stellt euch vor, dass ihr in eurer Gegend etwas nicht mögt, oder umgekehrt, ihr habt eine Idee, wie man etwas in eurer Stadt verbessern könnte. Das Projekt „Gestalte deine Stadt“ half dabei, ausgewählte Anregungen umzusetzen, Einwohner und örtliche Verwaltung in die Planung einzubeziehen und potentielle Sponsoren zu gewinnen. Die Zusammenarbeit zwischen Öffentlichkeit, Fachleuten und Verwaltung wurde verstärkt, um mit vereinten Kräften so viele Veränderungen wie möglich zu realisieren. Das Mosaik der Ideen Pilsener Bürger verschaffte einen Überblick über die Erwartungen und zeigte, was sie an ihrer Stadt mögen und was sie an ihr vermissen.
 
Der Überraschungsschrank wandert durch die Stadt.
Foto: Envic
„Gestalte deine Stadt“ ist ein Projekt, das die Bewohner Pilsens mit offenen Armen aufnahmen. Jeder hatte die Möglichkeit, ein Projekt zum Verschönern der Stadt einzureichen. Es ist ein Programm für kreative und aktive Bürger, die dabei mitmachen wollen, Pilsen als einen besseren Lebensraum zu gestalten.

Das Projekt „Gestalte deine Stadt“ gibt es in Pilsen seit einigen Jahren und hat bereits viele erfolgreiche Veranstaltungen realisiert. Diejenige, die mir am besten gefiel, war der Überraschungsschrank. Es handelt sich dabei um einen aus einem alten Tresor hergestellten Schrank, den man mit Hilfe eines Codes, den man per SMS bekommt, öffnen kann. Oder man holt ihn sich beim Pförtner der Wissenschaftlichen Bibliothek Pilsen. Im Inneren des Schrankes kann man viele Dinge finden – von Sportequipment, Spielen, Decken und Büchern bis hin zu Musikinstrumenten und Malbedarf. Der Schrank steht in Pilsen, um den Menschen Freude zu bereiten. Von Zeit zu Zeit wandert er an einen anderen Ort, um ganz Pilsen zu durchreisen. Zum ersten Mal hat er sein Geheimnis Anfang Juni 2014 auf der Smetana-Promenade/Smetanovy sady gelüftet. Leider hat diese inspirierende Veranstaltung die ruhelosen tschechischen Langfinger nicht davon abgehalten, den Schrank auszurauben. Trotzdem wird das Projekt weiterhin unerschrocken fortgesetzt und der Schrank lebt sein zauberhaftes rosafarbenes Stadtleben weiter.

Wie wir die Stadt gestalten, so werden wir sie haben.
Foto: „Pěstuj prostor | Gestalte Deine Stadt“
Seine eigene Projektidee kann jeder anmelden, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Auf den Projektseiten steht, dass es nicht darum geht, ob sie ein Kind oder ein Senior sind – wichtig ist nur die Lust, etwas zu verändern. Leider kann sich „Gestalte deine Stadt“ keine größeren Projekte leisten. Aber die vielen ausgewählten kleineren bis mittelgroßen Vorhaben können mit einem Zuschuss bis zu 120.000 tschechischen Kronen rechnen. Die unterstützten Aktionen haben nur drei Bedingungen: Das Projekt muss den öffentlichen Raum der Stadt verschönern, es muss eine Bereicherung für alle Menschen sein, die an dem Projekt interessiert sind, und es muss sich auf dem Gebiet der Stadt Pilsen befinden.

Logo des Projekts „Pěstuj prostor | Gestalte Deine Stadt“
Am Programm beteiligen sich nicht nur Einzelpersonen. Es werden auch oft Ideen von Bürgerinitiativen eingereicht. Zum Beispiel die von „Envic“, unter anderem verantwortlich für den Überraschungsschrank. Sie realisierte auch das Projekt „Der vergessene Garten“. Dabei ging es um die Umgestaltung eines verlassenen Obstgartens, um den sich jetzt der Verein kümmert. Dieser Impuls wirkt sich positiv auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben in Pilsen aus. Seitdem finden hier mehrmals im Jahr Bürgeraktivitäten statt.

Narzissenbepflanzung des ehemaligen Freibades, das wieder zum Leben erweckt wird
Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass es auch vom Interesse der Pilsener abhängt, ob dieses außergewöhnliche Projekt funktioniert. Deshalb ist jegliche Art der Unterstützung von „Gestalte deine Stadt“ sinnvoll und kann Pilsen lebenswerter machen. Denn nicht umsonst sagt man: Wie der Gärtner, so der Garten. Und man könnte noch hinzufügen: Wie der Bürger, so die Stadt.



Übersetzung aus dem Tschechischen: Kristina Veitová

Freitag, 7. August 2015

Schreib einen Namen

Die Namen auf den Steinen am Holocaust-Mahnmal erinnern an tragische Schicksale Pilsener Juden

Wie Sie in Wolftraud de Concinis letztem Blogbeitrag vor ihrer Sommerpause lesen konnten, bloggen hier im August Schülerinnen von Antonín Kolář, Masaryk-Gymnasium Pilsen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa. Heute: Pavla Papazianová

Unter dem Motto „Den Toten können wir nicht helfen. Aber wir können uns zumindest moralisch an ihre Seite stellen“ fand in den Tagen von 17. bis 20. Oktober 2014 eine Veranstaltung statt, deren Ziel es war, Inschriften auf mehr als zweieinhalbtausend Steinen mit Namen der Holocaustopfer aus Pilsen und seiner Umgebung zu erneuern. Der Sinn des Projekts war, der Stadt Pilsen die Namen dieser Menschen zurückzugeben – Männer, Frauen und Kinder, die gewaltsam verschleppt, gefoltert, ermordet wurden und die man fast vergessen hat.

An der Wiederherstellung des Denkmals „Garten der Erinnerungen“ beteiligten sich auch Schüler des Masaryk-Gymnasiums.
Lily Abelesová. Würde ich diesen Namen einem Durchschnittsbürger nennen, würde er diesem höchstwahrscheinlich nichts sagen. Für mich persönlich hat er aber von einem gewissen Augenblick an eine besondere Bedeutung bekommen. Würde ich den historischen Pilsener Kontext andeuten, würde man wahrscheinlich zu hören bekommen: Schriftstellerin? Sängerin? Schauspielerin? Die Frau eines bedeutenden Politikers? Alles irreführende Vermutungen. Denn Lily Abelesová war ein Dienstmädchen.
Der Name des Pilsener Dienstmädchens, das während des Holocausts in Izbica ermordet wurde

Der eine wäre erleichtert, noch nicht unter die Geschichtsbarbaren zu gehören, weil er vielleicht eine bedeutende Persönlichkeit unserer Weltgeschichte vergessen hat. Ein anderer würde sich fragen, worin denn wohl mein Interesse an dieser Person besteht. Würde ich euch den ganzen historischen Zusammenhang ausführen, würde sich der Name leider in eine Nummer verwandeln, die sich dann, wie ein Fischlein im Meer, in sechs Millionen anderen Nummern verlieren würde. Ja, über sechs Millionen Juden sind während des Zweiten Weltkrieges in den Konzentrationslagern umgekommen. Das ist die bekannte historische Formel, in die man nur schwer all den Verlust, den Schmerz und das Leiden konkreter Schicksale hineinzwängen kann. Die Zahl ist so groß, dass sie unser Vorstellungsvermögen übersteigt, das für manche bereits hinter der Grenze unserer Stadt endet.

Alle haben vor dem Abtransport ihr Zuhause verlassen und die Tür hinter sich zugemacht.
Lasst uns also direkt auf Pilsen schauen. Wir müssen uns bewusst werden, dass es zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nur etwa 120.000 Einwohner zählte. Wenn man also sagt, dass insgesamt 2.613 jüdische Bürger in einem von den drei Transporten im Jahr 1942 weggebracht wurden, handelt es sich dabei ungefähr um jede fünfzigste Person. Mehr als 1.800 von ihnen sind nie wieder nach Hause zurückgekehrt. Ihr Tod war jedoch nicht nur für sie eine Tragödie. Zusammen mit ihnen litten ihre Familie, Freunde, Bekannte. Wie viele meiner Freunde und Klassenkameraden würden verschwinden, wenn der Völkermord heute stattfinden würde? Oder wäre ich selbst Opfer? Niemand kann ahnen, wer ihm in nächster Zeit Feind wird.

Das symbolische Denkmal soll dafür sorgen, dass das Verschwinden der Pilsener Juden nicht vergessen wird. Jeder Stein erzählt symbolhaft das tragische Schicksal eines Menschen.
Lily bin ich während der Veranstaltung „Schreib deinen Namen“ im Rahmen des Projektes „Anděl fest/Engelfest“ begegnet. Lily Abelesová wurde am 2. November 1924 geboren. Heute könnte sie eine stolze Oma sein, die friedlich ihr Alter genießt, sie könnte sich bei den Nachbarn ihrer schönen Enkelkinder rühmen. Stattdessen wissen wir nicht viel über sie, es bleiben uns nur ein paar statistische Daten aus den Transportdokumenten. In Pilsen lebte dieses junge Mädchen in dem Haus in der Straße Klatovská třída Nr. 22, wo sie als Dienstmädchen arbeitete; am 22. Januar 1942 fuhr sie mit dem Transport mit dem Zeichen S nach Theresienstadt, wo sie am 24. Januar 1942 ankam. Hier blieb sie nicht mal einen Monat. Mit dem Transport Aa wird sie von Theresienstadt nach Izbica überführt; hier endet ihre Spur.

Ich halte es für wichtig, die Nummern in Namen zu verwandeln. Aber anhand einiger, auch weniger Beispiele kann man die Fakten in Emotionen verwandeln, die ich zum Verständnis dieses Themas für notwendig halte, auch um zu vermeiden, dass sich derartige Grausamkeiten wiederholen. Dazu werden aber Leute gebraucht, denen es nicht egal ist, wo sie leben und was sich um sie herum abspielt. Zu solchen Menschen gehören die Mitglieder des Vereins Humr o.s. stehen: Sie haben in den Räumlichkeiten der sogenannten Jüdischen Schule bei der Alten Synagoge an der Smetana-Promenade/Smetanovy sady einen Gedenkplatz geschaffen, um an die tragischen Schicksale der zweieinhalbtausend Pilsener Opfer der Shoah zu erinnern.



Übersetzung aus dem Tschechischen: Kristina Veitová

Donnerstag, 6. August 2015

Wir gestalten die Stadt gemeinsam!

Ehrenamtliche Aktivitäten im Rahmen von Pilsen – Kulturhauptstadt Europas 2015

Wie Sie in Wolftraud de Concinis letztem Blogbeitrag vor ihrer Sommerpause lesen konnten, bloggen hier im August Schülerinnen von Antonín Kolář, Masaryk-Gymnasium Pilsen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa. Heute: Helena Matějková

Im Rahmen der Vorbereitung auf das Projekt Kulturhauptstadt Europas 2015 halfen Freiwillige, die Stadt auszubessern, zu reinigen und zu verschönern. Neben verschiedenen Einsätzen im öffentlichen Raum umfasst das Projekt auch soziale, kulturelle und weitere Aktivitäten. Sie sollen der Stadt mehr Farbe verleihen, einen Beitrag zum besseren Zusammenleben der Bewohner und gemeinsame Werte teilen, die häufig durch Vorurteile, Vergessen und Unachtsamkeit verdeckt werden.

Mit dem Übergang ins Jahr 2015 wurde Pilsen Kulturhauptstadt Europas und öffnete so seine Tore sowohl für Besucher als auch für Künstler aus der ganzen Welt. Im Laufe des Jahres finden in der Stadt und ihrer Umgebung nicht nur kulturelle und musikalische Veranstaltungen statt, sondern auch Bildungsvorträge und Seminare. Um dafür zu sorgen, dass alles so verläuft wie geplant, reichten die Mitarbeiter des Organisationsteams nicht aus. Unsere Stadt brauchte eine beträchtliche Verstärkung durch ehrenamtliche Helfer. Daher haben sich die Pilsener und ihre Nachbarn bereits vor Jahren an ehrenamtlichen Aktionen beteiligt. Eine von ihnen ist der Klub der Schutzengel.


Das Anděl Fest/Engelfest, stand unter dem Motto „Wir schaffen gemeinsam Kultur.“


Der Klub der Schutzengel empfing alle, die bei der Vorbereitung, Organisation und Koordination der Veranstaltungen von Pilsen 2015 mit anpacken wollten, mit offenen Armen. Bei dem vielfältigen Angebot findet jeder eine Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Vom erlebnishungrigen Mittelschüler bis hin zur sympathischen Rentnerin, die ihre Heimatstadt unterstützen möchte.

Freiwillige strichen Stadtbänke an.
Bereits im letzten Jahr, als die Vorbereitungen auf Hochtouren liefen, fanden unzählige wunderbare Veranstaltungen statt. Beispielsweise das Festival „6 Wochen Barock“ als Vorgeschmack auf die diesjährigen „9 Wochen Barock“ oder der Gastaufenthalt des französischen Karussells Le Manège Carré Sénart, bei dessen von Lichtprojektionen auf die St. Bartholomäuskirche begleiteter Inbetriebnahme die Ehrenamtlichen zur Belohnung mitfahren durften. Die größte Veranstaltung der Freiwilligen war das Festival Anděl Fest/Engelfest, das unter dem Motto stand: „Wir schaffen gemeinsam Kultur.“ In ganz Pilsen wurden Parks gereinigt, Unterführungen gestrichen, barrierefreie Zugänge zu verschiedenen Räumlichkeiten für Rollstuhlfahrer geschaffen oder alte Sitzbänke mit Farbe versehen. Während eines verlängerten Wochenendes im Oktober 2014, an dem dieses Festival schon zum zweiten Mal stattfand, konnte sich jeder eine Aktivität je nach persönlichem Interesse und zeitlichen Möglichkeiten aussuchen. In der Alten Synagoge hatten die Ehrenamtlichen die Möglichkeit, den „Garten der Erinnerung“ wiederherzustellen. Dabei handelt es sich um ein Denkmal, das anlässlich des 60. Jahrestages der Judendeportationen von Pilsen nach Theresienstadt entstanden war. Hier mussten insgesamt 2.600 größere Steine gereinigt und die Namen der jüdischen Opfer erneuert werden. Trotz der Rückenschmerzen der Freiwilligen, die hier eine längere Zeit halfen, war diese pietätvolle Aktion ein sensationeller Erfolg.

Auch an der Erneuerung des Denkmals „Garten der Erinnerung“ neben der Alten Synagoge beteiligten sich Freiwillige.

Ich hatte mich im August 2014 bei dem Freiwilligen-Programm angemeldet. Es dauerte nicht lange, bis ich zum ersten Informationstreffen eingeladen wurde. Die Sitzung verlief in einer angenehmen Atmosphäre, der Raum war von gelber Farbe durchleuchtet, die zu einer Art Dresscode für den Tag wurde. Auch der künstlerische Leiter von Pilsen 2015, Petr Forman, stellte sich uns vor. Er erzählte uns über sein Leben und seine enge Beziehungen zu Pilsen und lud uns zur ersten offiziellen Fahrt mit dem französischen Karussell Le Manège Carré Sénart auf dem Ring ein.

Im T-Shirt der Freiwilligen
Nun saß ich, eine stolze Freiwillige, am 5. September auf einem Büffelkopf und winkte den Zehntausenden sich auf dem Platz drängenden Menschen zu. Der Büffel verdrehte die Augen, schlackerte mit den Ohren und ich genoss den wunderbaren Start meines freiwilligen Engagements für Pilsen 2015. Und mit dieser wundervollen Erfahrung war es definitiv noch nicht vorbei. Kurze Zeit später lief ich nämlich im Kulturhaus Peklo („Hölle“) zwischen dem Garderoben- und Infopult und dem Hauptsaal, in dem die Veranstaltung Naše-vaše kultura („Unsere-eure Kultur“) stattfand, hin und her. Und obwohl ich eine Freiwillige mit einem gelben Punkt auf meinem T-Shirt war, hatte ich dennoch Zeit, fremden Kulturen zu begegnen, Musik zu hören, dem Tanz exotischer Nationen zuzuschauen und ein paar Souvenirs für die zu kaufen, die nicht diese Gelegenheit hatten.

Bänke anstreichen im Borský Park

In den folgenden Monaten informierte ich unter anderem die ankommenden tschechischen und ausländischen Gäste bei der Veranstaltung „Open Up“, arbeitete am Platz der Republik beim Verleih von Rollern, strich unzählige alte Bänke im Borský Park an und ehrte das Gedenken an die jüdischen Opfer der Transporte nach Theresienstadt. Ich hatte Gelegenheit, Deutsch und Englisch zu sprechen, viele interessante Menschen kennenzulernen, eine gebratene Raupe zu probieren, meine organisatorischen Fähigkeiten zu verbessern – und habe eine Menge Spaß gehabt. Das ehrenamtliche Engagement für Pilsen 2015 füllt nicht nur meine Freizeit aus, sondern erfüllt auch mich selbst.

Die ehrenamtlichen Tätigkeiten für Pilsen 2015 sind sehr vielfältig. Interessenten können beispielsweise durch Gespräche und Verteilung von Flyern über laufende Veranstaltungen informieren, sie können bei Fragebogenaktionen helfen oder sich um die in die Stadt kommenden Künstler kümmern. Das Einzige, was einem nicht fehlen sollte, ist Begeisterung für die Sache.

Mehr Informationen zur ehrenamtlichen Mitarbeit bei Pilsen – Kulturhauptstadt Europas 2015 erhalten Sie auf www.plzen2015.cz.



Übersetzung aus dem Tschechischen: Kristina Veitová

Montag, 3. August 2015

Antonín Kolář

Der Oberschullehrer vom Masaryk-Gymnasium ist eine wahre Fundgrube

Er ist ein lebendes Internet. Du gibst ein Wort ein und er kommt mit drei, zehn, 20 Antworten. Juden? Da gibt es jüdische Friedhöfe in Spálené Pořičí und in Poběžovice und in Radnice und in Švihov und in vielen anderen Ortschaften. Roma? Dobrá Voda, ein Romadorf, aber Sie sollten nicht allein hinfahren, weil sie misstrauisch sind und Sie dort keine Kontakte bekommen. Aber ich habe eine Freundin, die … Verfallende oder verschwundene deutsche Dörfer? Výškovice ist das bekannteste, aber im ganzen Grenzgebiet gegen Bayern gibt es welche. Auch Pivoň mit dem ehemaligen Augustinerkloster. Sie können versuchen hineinzuklettern, aber es ist gefährlich.

Antonín Kolář im Café Regner

Antonín Kolář ist nicht mehr zu halten, wenn man ihn nach „Pilsnerisch-Westböhmischem“ fragt. Eine wahre Fundgrube, wenn man auf der Suche nach besonderen Notizen, Informationen und Ideen ist. Aber auch ein gescheiter, kenntnisreicher Oberschullehrer für Geschichte und Tschechisch am traditionsreichen Masaryk-Gymnasium in Pilsen.

Zu unserer ersten Begegnung hatten wir uns am „Andĕl“ verabredet, am Engelsbrunnen, der – zusammen mit dem „Kamel“ und der „Windhündin“ – dem altehrwürdigen Náměstí Republiky im Zentrum von Pilsen ein modernes Gepräge gibt. Das mir gefällt. Aber nicht allen Pilsnern. Er hatte sich am Telefon als „alter, langhaariger Mann“ angekündigt. Fast hätte ich einen Senior angesprochen, der auf diese Beschreibung passte. Dann aber kam er angeradelt: langhaarig ja, aber jung, gut aussehend, mit einem breiten Lächeln.

Wir gingen ins Café Regner, im ersten Stock eines Hauses in der Bezručova. Ich mit meinem inzwischen stadtbekannten Hund Zampa, er mit seinem Fahrrad, das er bis hinauf mitschleppte und dann auch noch an einen Heizkörper anschloss. Drei Räder seien seiner Familie seit Weihnachten gestohlen worden. Da sei er jetzt vorsichtig. Er, der begeisterte Radfahrer, der die Pilsner Stadtverwaltung kritisiert, weil sie kein Verständnis für Radfahrer habe. In Deutschland gebe es überall Radwege, hier in Pilsen werde man an jeder Kreuzung gestoppt.

Antonín Kolář mit seinem geliebten Fahrrad

Im Café saßen am Nebentisch mehrere junge Mädchen. „Das sind Schülerinnen von mir“, kommentierte Antonín Kolář. Und man sah ihnen an, wie sehr sie ihren so gar nicht professorenhaften „Herrn Professor“ verehren. Offensichtlich ist es ihm gelungen, seine Begeisterung, seinen Enthusiasmus auch auf seine Schülerinnen zu übertragen, sie mit seiner Neugier und seinem Wissensdurst anzustecken. Und ich bin sicher: Wie er von sich selbst das Höchste abverlangt, stellt er auch an sie hohe Anforderungen.

Aus diesem Wissen-Wollen heraus sind die Texte entstanden, die von seinen Schülerinnen geschrieben worden sind. Und die in meinen Blog eingegeben werden, während ich im August etwas Italienheimaturlaubsluft atme, bevor ich dann im September wieder nach Pilsen komme. Es sind Texte, denen man Antoníns Schule anmerkt, seine geschichtlichen Kenntnisse, sein menschliches Interesse, sein Feingefühl für auch heikle Fragen, sein Verständnis für Andere und Ausgegrenzte.

Wenige Tage nach unserem ersten Treffen bekam ich eine Mail von Antonín Kolář: „… zu einer Wanderung mit meinen Schülern einladen und Ihnen Schlafsack und alles dazu leihen. So lernen Sie unsere typische Wanderkultur kennen!“ Das Wetter wurde dann schlecht und die Gruppe kam nicht zusammen. Und mir, einer 75-jährigen Frau, blieb die erste Übernachtung meines Lebens in Zelt und Schlafsack unter freiem Himmel erspart. Was mich freute und auch nicht freute. Aber ich weiß eines: Antonín Kolář ist ein Chode. Und die Choden – das wissen alle hier in Westböhmen, wo sie eine eigene tschechische Volksgruppe mit eigenem Dialekt bilden, die vom Mittelalter an für ihre Wachdienste an der Landesgrenze zu Niederbayern und der Oberpfalz mit Sonderrechten ausgestattet war, – sind hartnäckig und starrsinnig. Und bei der erstbesten Gelegenheit kommt er sicher noch einmal auf sein Angebot zurück. Aber inzwischen ist er in wilden mittelasiatischen Gebirgen unterwegs, wenn er zurückkommt, fängt das Schuljahr an und dann, Ende September, fahre ich aus Pilsen weg. Endgültig. Schweren Herzens. Wer weiß, wann sich mir im Leben noch eine Gelegenheit zum Im-Zelt-im-Freien-Übernachten bietet?