Freitag, 18. Dezember 2015

Neue Glocken für die Pilsener Kathedrale

Nachdem die Stadtschreiberzeit von Wolftraud de Concini leider vorüber ist, bloggen auf ihrer Seite bis Ende des Jahres Schülerinnen des Geschichtslehrers Antonín Kolář über verschiedene Pilsener Themen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa.

Nach langer Zeit hat Pilsen im Turm der St. Bartholomäus-Kathedrale sein Symbol zurück – die Pilsener Glocken. Sie wurden vom Pilsener Bischof František Radkovský geweiht und läuten immer dann, wenn man in Pilsen in Frieden und Zufriedenheit lebt.
 

Von Markéta Kolářová, Masaryk Gymnasium Pilsen

Die im Ersten Weltkrieg eingeschmolzenen Glocken wurden 1931 erneut gegossen und im Turm angebracht – allerdings nur für kurze Zeit, bis sie im Zweiten Weltkrieg das gleiche Schicksal ereilte.
Schon im Jahre 1446 konnten die Pilsener die Glocke Bartholomäus im Turm läuten hören. Mitte des 16. Jahrhunderts erklangen im Turm insgesamt fünf Glocken. 1835 stürzten die Glocken bei einem Brand in die Tiefe und wurden noch im selbem Jahr erneuert – durch Anna, Prokop, Johannes Nepomuk und Maria dazu. Für die Glocke Anna hatten die Bürgerinnen zusammengelegt, weshalb sie folgende Aufschrift trug: »Die gläubigen Bürgerinnen haben mich gießen lassen.« Die Glocke Prokop wurde zur Erinnerung an den Grafen Prokop Hartmann benannt, denn er hatte die Kirche während des Feuers vor einem noch größeren Schaden bewahrt. Die Glocke Prokop diente als Sterbeglocke. Die Glocke Johann wurde mit den Mitteln einer von Johann Buml veranstalteten Sammlung gegossen, deshalb erhielt sie seinen Namen. Mit dieser Glocke wurde mittags und abends geläutet. Für die vierte Glocke legten die Pilsener Kaplane zusammen. Die Hauptglocke Bartholomäus wurde erst im Jahre 1838 geliefert. Sie hatte angeblich keinen schönen Klang und so fing man an, sich um ihre Entfernung aus dem Glockenturm zu bemühen. Insbesondere der Erzdechant Anton Hlavan hatte ein Interesse an ihrer Entfernung, denn er sagte, der Ton der Glocke sei zu dumpf und obendrein auch noch höher als der der Glocke Maria. 1852 entschied die landesfürstliche Kanzlei, die Glocke umgießen zu lassen. Zwei Jahre später bekam der Turm einen neuen Bartholomäus – genannt »Bárta«. Die Glocke war damals die zweitgrößte in Böhmen.

Während des Ersten Weltkriegs wurden Bartholomäus, Anna und Maria eingeschmolzen und für die Kanonen- und Munitionsherstellung verwendet. 1931 wurden die Glocken erneut gegossen und im Turm angebracht, allerdings nicht für lange.Während des Zweiten Weltkriegs ereilte die Glocken ein ähnliches Schicksal. Die einzige Glocke, die den Zweiten Weltkrieg überlebte, war die Glocke Prokop, die im Jahre 1835 gegossen worden war. Nach der langen Zeit des kommunistischen Regimes, das religiöse Zeremonien und ihre Symbole ablehnte, bekam die Glocke Anna erst 1994 wieder ihren Platz im Turm.

Am 17. Januar 2015, als das Projekt »Pilsen – Kulturhauptstadt Europas 2015« eröffnet wurde, ertönten im Turm eine ganze Gruppe neuer Glocken, gegossen von Petr Rudolf Manoušek aus der niederländischen Werkstatt Royal Eijsbouts. Vier neue Glocken wurden geweiht – Bartholomäus, Prokop, Maria und Hroznata. Die größte Glocke Bartholomäus ist über zwei Meter hoch und wiegt samt Aufhängevorrichtung und Klöppel über fünf Tonnen. Insgesamt wiegen die Glocken über dreizehn Tonnen. Die Herstellung der Glocken wurde durch öffentliche Sammlungen und Spenden finanziert. Die Namen derjenigen, die sich ein Glockenguss-Zertifikat im Wert von mindestens 10.000 Kronen gekauft hatten, wurden in die neuen Glocken eingraviert, als Erinnerung an ihre Großzügigkeit.

Eine ganze Gruppe neuer Glocken wurden im Januar 2015 geweiht und im Turm aufgehängt.

Über die Pilsener Glocken erzählte man sich viele Geschichten. Zum Beispiel, dass das Läuten der Glocken während der Geburt eines Kindes dessen Zukunft vorhersage. Wenn alle Glocken auf dem Turm gleichzeitig läuteten, bedeute dies, das das Kind ein berühmter Mann werde. Wenn ein Mädchen geboren werde, werde es eines Tages einen berühmten oder adeligen Mann heiraten. Das Läuten der Totenglocke kündige an, dass ein Kind früh versterbe. Komme ein Kind beim Läuten der Abendglocke auf die Welt, werde es entweder eine Nonne oder ein Priester werden. Wurde ein Kind beim Läuten der Mittagsglocke geboren, sagte man ihm voraus, dass es ein Würdenträger in der Gemeinde, ein Beamter oder ein bedeutender Händler werden würde. Der beim morgendlichen Läuten Geborene werde einmal in die weite Welt gehen.

Eine weitere Legende handelte von einem unglücklichen Glöckner. Im Glockenturm der erzbischöflichen Kirche hing eine große Glocke, die jeder Pilsener kannte, da sie bei jedem dritten Schlag so klang, als hätte sie voller Schmerzen gestöhnt. Die älteren Pilsener erzählten von einem Glöckner, der für das Anfertigen von Glocken mit einem wunderschönen Klang berühmt gewesen war. Einmal fertigte er eine große Glocke an und musste nur noch den Ofen anstecken, aus dem dann die glühende Legierung direkt in die vorbereitete Form gegossen werden sollte. Das war angeblich der entscheidende Moment bei der Herstellung einer Glocke und niemand durfte in diesem Moment bei dem Glöckner anwesend sein. Dieser Glöckner hatte aber einen Lehrling, der wissen wollte, was da vor sich ging, wenn er nicht dabei sein sollte. Er vermutete, dass sich sein Herr mit irgendeinem Geist verbinde. Er versteckte sich also hinter den alten Gerätschaften des Glöckners, um zu sehen, was sich beim Anstecken des Ofens abspielte. Er sah, dass sein Meister vor dem Anstecken betete und sich bekreuzigte. Dann steckte er den Ofen an und die Flüssigkeit fing an, in die Form zu fließen. Der Lehrling bewegte sich aus Versehen und machte dabei ein Geräusch, dass den Glöckner aufstörte. Dieser ging mit einer glühendheißen Eisenstange zu der Ecke, aus der das Geräusch gekommen war und stach hinein. Der Lehrling schrie auf und starb. Der Glöckner erschrak und warf den Körper des Jungen in den Ofen, wo der Tote dann verbrannte. Die Glocke goss er noch fertig und nicht nur diese, sondern auch alle weiteren Glocken, die er seitdem goss, erinnerten mit ihren Klang an Schläge gegen einen Holzkübel. Der Glöckner war so verzweifelt, dass er sich eines Tages erhängte.
 
Es bleibt zu hoffen, dass man mit den neu gegossenen Pilsener Glocken nur noch neue und positive Geschichten in Verbindung bringt. Und dass die Glocken weder einer Kriegszestörung noch einer anderen Katastrophe zum Opfer fallen werden, so wie es in der Vergangenheit schon mehrmals passiert ist. Lasst uns für die Stadt Pilsen wünschen, dass die Glocken nur noch für Glück, Freiheit, Schönheit und Zufriedenheit läuten.

Übersetzung: Kristina Veitová und Tanja Krombach

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