Freitag, 7. August 2015

Schreib einen Namen

Die Namen auf den Steinen am Holocaust-Mahnmal erinnern an tragische Schicksale Pilsener Juden

Wie Sie in Wolftraud de Concinis letztem Blogbeitrag vor ihrer Sommerpause lesen konnten, bloggen hier im August Schülerinnen von Antonín Kolář, Masaryk-Gymnasium Pilsen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa. Heute: Pavla Papazianová

Unter dem Motto „Den Toten können wir nicht helfen. Aber wir können uns zumindest moralisch an ihre Seite stellen“ fand in den Tagen von 17. bis 20. Oktober 2014 eine Veranstaltung statt, deren Ziel es war, Inschriften auf mehr als zweieinhalbtausend Steinen mit Namen der Holocaustopfer aus Pilsen und seiner Umgebung zu erneuern. Der Sinn des Projekts war, der Stadt Pilsen die Namen dieser Menschen zurückzugeben – Männer, Frauen und Kinder, die gewaltsam verschleppt, gefoltert, ermordet wurden und die man fast vergessen hat.

An der Wiederherstellung des Denkmals „Garten der Erinnerungen“ beteiligten sich auch Schüler des Masaryk-Gymnasiums.
Lily Abelesová. Würde ich diesen Namen einem Durchschnittsbürger nennen, würde er diesem höchstwahrscheinlich nichts sagen. Für mich persönlich hat er aber von einem gewissen Augenblick an eine besondere Bedeutung bekommen. Würde ich den historischen Pilsener Kontext andeuten, würde man wahrscheinlich zu hören bekommen: Schriftstellerin? Sängerin? Schauspielerin? Die Frau eines bedeutenden Politikers? Alles irreführende Vermutungen. Denn Lily Abelesová war ein Dienstmädchen.
Der Name des Pilsener Dienstmädchens, das während des Holocausts in Izbica ermordet wurde

Der eine wäre erleichtert, noch nicht unter die Geschichtsbarbaren zu gehören, weil er vielleicht eine bedeutende Persönlichkeit unserer Weltgeschichte vergessen hat. Ein anderer würde sich fragen, worin denn wohl mein Interesse an dieser Person besteht. Würde ich euch den ganzen historischen Zusammenhang ausführen, würde sich der Name leider in eine Nummer verwandeln, die sich dann, wie ein Fischlein im Meer, in sechs Millionen anderen Nummern verlieren würde. Ja, über sechs Millionen Juden sind während des Zweiten Weltkrieges in den Konzentrationslagern umgekommen. Das ist die bekannte historische Formel, in die man nur schwer all den Verlust, den Schmerz und das Leiden konkreter Schicksale hineinzwängen kann. Die Zahl ist so groß, dass sie unser Vorstellungsvermögen übersteigt, das für manche bereits hinter der Grenze unserer Stadt endet.

Alle haben vor dem Abtransport ihr Zuhause verlassen und die Tür hinter sich zugemacht.
Lasst uns also direkt auf Pilsen schauen. Wir müssen uns bewusst werden, dass es zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nur etwa 120.000 Einwohner zählte. Wenn man also sagt, dass insgesamt 2.613 jüdische Bürger in einem von den drei Transporten im Jahr 1942 weggebracht wurden, handelt es sich dabei ungefähr um jede fünfzigste Person. Mehr als 1.800 von ihnen sind nie wieder nach Hause zurückgekehrt. Ihr Tod war jedoch nicht nur für sie eine Tragödie. Zusammen mit ihnen litten ihre Familie, Freunde, Bekannte. Wie viele meiner Freunde und Klassenkameraden würden verschwinden, wenn der Völkermord heute stattfinden würde? Oder wäre ich selbst Opfer? Niemand kann ahnen, wer ihm in nächster Zeit Feind wird.

Das symbolische Denkmal soll dafür sorgen, dass das Verschwinden der Pilsener Juden nicht vergessen wird. Jeder Stein erzählt symbolhaft das tragische Schicksal eines Menschen.
Lily bin ich während der Veranstaltung „Schreib deinen Namen“ im Rahmen des Projektes „Anděl fest/Engelfest“ begegnet. Lily Abelesová wurde am 2. November 1924 geboren. Heute könnte sie eine stolze Oma sein, die friedlich ihr Alter genießt, sie könnte sich bei den Nachbarn ihrer schönen Enkelkinder rühmen. Stattdessen wissen wir nicht viel über sie, es bleiben uns nur ein paar statistische Daten aus den Transportdokumenten. In Pilsen lebte dieses junge Mädchen in dem Haus in der Straße Klatovská třída Nr. 22, wo sie als Dienstmädchen arbeitete; am 22. Januar 1942 fuhr sie mit dem Transport mit dem Zeichen S nach Theresienstadt, wo sie am 24. Januar 1942 ankam. Hier blieb sie nicht mal einen Monat. Mit dem Transport Aa wird sie von Theresienstadt nach Izbica überführt; hier endet ihre Spur.

Ich halte es für wichtig, die Nummern in Namen zu verwandeln. Aber anhand einiger, auch weniger Beispiele kann man die Fakten in Emotionen verwandeln, die ich zum Verständnis dieses Themas für notwendig halte, auch um zu vermeiden, dass sich derartige Grausamkeiten wiederholen. Dazu werden aber Leute gebraucht, denen es nicht egal ist, wo sie leben und was sich um sie herum abspielt. Zu solchen Menschen gehören die Mitglieder des Vereins Humr o.s. stehen: Sie haben in den Räumlichkeiten der sogenannten Jüdischen Schule bei der Alten Synagoge an der Smetana-Promenade/Smetanovy sady einen Gedenkplatz geschaffen, um an die tragischen Schicksale der zweieinhalbtausend Pilsener Opfer der Shoah zu erinnern.



Übersetzung aus dem Tschechischen: Kristina Veitová

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