Vom Busdepot zum Kultur-DEPO
„Das alte Busdepot war zu klein geworden und so konnte das neue DEPO
entstehen.“ Was sich wie Nonsens anhört, wie ein unverständliches Wortspiel,
ist ein Faktum. Zum Ausdruck gebracht von einem Topmanager, der es wissen muss:
Marek Herbst ist generální ředitel – Generaldirektor – des
Škoda City Service in Pilsen. Er kennt sich in städtischen Verkehrsbetrieben,
Straßenbahnen, Stadt- und Trolleybussen, Schienen und Oberleitungen aus und
erzählt mit ansteckender Begeisterung vom neuen Busdepot und seiner
Entstehungsgeschichte.
Marek Herbst, Generaldirektor des Škoda City Service, vor dem neuen Busdepot in Pilsen |
Ob ich vom Thema „Kulturhauptstadt Pilsen“
abgekommen bin? Nein, ganz und gar nicht. Denn ohne das neue Techno-Highlight
des Busdepots könnte es das Kunst-DEPO2015 nicht geben, eine Kulturwerkstätte,
die sich in allerkürzester Zeit zu einem Künstlertreff und einem
Sightseeingtour-Muss der westböhmischen Hauptstadt gemausert hat.
Noch nicht herausgeputzt: Motiv aus dem neuen Kultur-DEPO2015 |
Bis 2014 waren die in Pilsen verkehrenden Busse im
Betriebshof am Radbuza-Ufer geparkt und gewartet, kontrolliert und repariert worden.
Doch das Gelände war zu klein, die Hallen waren alt und überholt und
entsprachen nicht mehr den heutigen Sicherheitsvorschriften. Also wird
umgezogen. Auf ein mehr als 114.000 Quadratmeter großes, den Škoda-Werken
abgewonnenes Areal. Ehemalige Werkhallen werden demoliert, neue aufgebaut. Mit modernster
Technologie. Der eigentliche Umzug vom alten zum neuen Busdepot erfolgt in
wenigen Stunden, es darf im Stadtverkehr zu keiner Unterbrechung kommen. Alles
in kurzer, unglaublich kurzer Zeit, wie so Vieles hier in Pilsen überraschend
schnell konzipiert und organisiert wird.
Ein moderner Oberleitungsbus verlässt die Werkhalle des neuen Pilsner Busdepots. |
Ein Oldtimer wartet in der Garage auf einen neuen Auftritt. |
Auch das DEPO2015 wird in kürzester Zeit aus dem
Boden gestampft. Nein, nicht eigentlich aus dem Boden gestampft, der Ausdruck
stimmt nicht: Die Hallen und die Außenareale sind ja noch da. Aber sie müssen
den neuen Erfordernissen einer Kulturfabrik angepasst werden. Auch das in
kürzester Zeit. Denn das Kulturhauptstadtjahr steht vor der Tür, als im
September 2014 die Umgestaltungsarbeiten beginnen. Und im Frühjahr 2015 kann
das DEPO pünktlich seine Tore öffnen.
Zweckentfremdet: vom Busdepot zum Kultur-DEPO |
Man sieht den DEPO-Strukturen ihre frühere Nutzung als Busdepot noch an. |
„reSTART“ ist der vielsagende Titel der Ausstellung von Čestmír Suška, der seine riesigen Metallkonstruktionen bis Ende 2015 vor und im neuen DEPO2015 zeigt. |
Das neue Busdepot in der riesigen Ex-Škoda-Halle
mit seinen zukunftsorientierten Anlagen und Einrichtungen – „Das Depot ist für
die nächsten 30 Jahre konzipiert“, kommentiert Direktor Marek Herbst – ist
heute der Stolz der städtischen Verkehrsbetriebe, wie das DEPO2015 der Stolz
der Kulturhauptstadt ist: Kunstausstellungen, Tagungen, Dichterlesungen, Tanzveranstaltungen und
Workshops ziehen besonders ein junges, jung gebliebenes und intellektuelles
Publikum an.
Doch noch einmal zu den städtischen
Verkehrsbetrieben zurück. Zu den rund 230 Bussen, die in der Stadt verkehren,
kommen auch noch an die 120 Straßenbahnen, diese überwiegend gelben Trambahnen,
die fast die Hälfte des Personenverkehrs übernehmen und aus dem Stadtbild nicht
wegzudenken sind. Und damit sind wir bei einer anderen schönen Geschichte
angelangt.
Attraktive Präsenz im Pilsner Straßenverkehr. Links hinten die Große Synagoge |
František Křižík, ein tschechischer Techniker, Erfinder und
Industrieunternehmer, war 1847 im Pilsen-nahen Plánice geboren. 1880 kam er in die westböhmische Hauptstadt, um die von ihm erfundene
elektrische Bogenlampe (sie ist den Fachleuten, die sicher mehr darüber wissen
als ich, auch als Křižík- oder Pilsen-Lampe bekannt) zu testen: Sie wurde zur
Beleuchtung der Bühne im Großen Theater eingesetzt und in den Betriebshallen
der heute aufgelassenen Piette-Papierfabrik (die sich unter dem Namen Papírna Plzeň als ebenfalls neue Kulturwerkstätte präsentiert).
Als die zunehmend industrialisierte Stadt gegen Ende des 19. Jahrhundert
eine stürmische Bevölkerungsentwicklung erlebte, musste sie sich nach angemessenen Fahrzeugen für den Personentransport umsehen. Was lag da
näher, als an die neuen Trambahnen zu denken, die in anderen Städten schon ihren Dienst taten? Als geeignetster Mann zur Lösung dieser Riesenaufgabe
wurde František Křižík erneut in die Stadt gerufen. Und am 29. Juni 1899 konnten
die ersten Straßenbahnlinien in Betrieb genommen werden: mit 20 Triebwagen, die auf
drei Linien verkehrten. Ein denkwürdiger Tag für Pilsen.
František Křižík um das Jahr 1902, im Alter von 55 Jahren, als er schon die ersten Straßenbahnlinien in Pilsen angelegt hatte |
Dem Pionier des elektrischen Schienenverkehrs ist in den Grünanlagen der Křižíkovy sady in
Pilsen ein Denkmal gesetzt worden, das nur von Wenigen beachtet wird: Denn
wer kennt heute schon den zum gefeierten Unternehmer und Erfinder
aufgestiegenen Schneiderssohn aus dem 1600-Seelen-Städtchen Plánice, der von seinen
Zeitgenossen als „tschechischer Edison“ gepriesen wurde?
Ich interessiere mich für ihn. Genauer gesagt: für Straßenbahnen und
Trolleybusse. Noch genauer gesagt: für Oberleitungen. Freunde und Bekannte
belächeln mich ob dieser meiner Passion. Ich habe lange nach einem Anlass
gesucht, um einen Text darüber zu schreiben. Hier ist er. Eine Lobeshymne auf das
avantgardistische Busdepot, den Trambahn-Realisator František Křižík und das
dynamische DEPO2015. Sie geben mir die Möglichkeit, endlich auch einige meiner Fotos von Pilsner Oberleitungen
zu zeigen. Ich finde sie unwiderstehlich.
Und mit diesem trüben Himmel verabschiede ich mich, voller trüber Laune, vorübergehend von Pilsen und von meinen Lesern.
Jetzt machen Antonín Kolář und seine Oberschülerinnen vom Masaryk-Gymnasium weiter. Aber in einem Monat bin ich wieder da. In Pilsen und in meinem Blog. Na shledanou!
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