Sonntag, 18. Oktober 2015

Böhmen adieu!


Pilsen, die Fünf-Flüsse-Stadt

So haben die Einheimischen jetzt doch endlich bemerkt, dass Pilsen eine Fünf-Flüsse-Stadt ist. Am 15. Oktober hatte in der Großen Synagoge – sie ist für ihre einzigartige Akustik bekannt – die sinfonische Dichtung „Pět Řek/Fünf Flüsse“ feierliche, erfolgreiche Premiere. Jiří Vyšata, Martin Červenka, Pavel Samiec und Tomáš Karpísek, vier junge Komponisten, haben unter Leitung ihres Lehrers Jiří Bezděk die einzelnen Sätze dieser Tondichtung geschrieben und sich dazu von den fünf Flüssen inspirieren lassen, die sich durch die Stadt schlängeln und sie umarmen: die Mže, die Radbuza, die Úhlava, die Úslava und die Berounka.

Kinderzeichnungen der Ausstellung „Fünf Flüsse“, die im Dům hudby (Haus der Musik) in Pilsen zu sehen war. Oben eine synthetische Darstellung von Pilsen mit seinen fünf Flüssen







Die Rooseveltbrücke über die Mže (oben) und Graffiti an der Brücke (unten)




Fünf Flüsse. Kaum eine andere Stadt auf der Welt kann mit einem solchen Reichtum an Wasserläufen aufwarten, die allerdings im Stadtbild nur wenig ins Auge fallen. Seit Beginn meines Pilsenaufenthalts hat mich – besonders nach einem Spaziergang mit Šárka Krtková – vor allem die Radbuza fasziniert. Vielleicht hatte es mir ihr Name angetan, der an Märchen und Wasserfeen erinnert, vielleicht die Tatsache, dass sie ganz in der Nähe der europäischen Hauptwasserscheide zwischen Elbe und Donau, zwischen Nordsee und Mittelmeer, entspringt und dass ein winziger Teil ihres Einzugsgebiets in Bayern liegt. Und außerdem fließt sie, bei einer Länge von 111,5 Kilometern, an Ortschaften vorbei, die – wie Újezd Svatého Kříže/Heiligenkreuz, Hostouň/Hostau und Horšovský Týn/Bischofteinitz – mich wieder einmal an meine hier einst tätigen Priesteronkel erinnern.

Eine gebürtige Oberpfälzerin und somit eine wahre Grenzgängerin ist die Mže/Mies. Sie entspringt im Gemeindegebiet von Mähring, vertrödelt ihre Kindheit auf etwa zweieinhalb Kilometern in Bayern und kann sich für ein kurzes Stück als Grenzfluss nicht entscheiden, ob sie oberpfälzerisch-bayerisch oder böhmisch-tschechisch werden möchte. Sie optiert für Böhmen, berührt Tachov/Tachau, wird mehrmals zu Seen aufgestaut und gelangt schließlich nach Pilsen. Nach knapp 103 Kilometern Länge vereinigt sie sich bei der Plzeňský Prazdroj, der weltberühmten Urquell-Brauerei, mit der Radbuza, ändert ihren Namen und verlässt die Stadt als Berounka (die nach knapp 140 Kilometern in Prag in die Moldau mündet).

Hier wird aus Mže (links) und Radbuza (rechts) die Berounka.

Blieben noch die Úhlava und die Úslava. Ein Kind des Böhmerwaldes ist die 109 Kilometer lange Úhlava. Sie schlängelt sich an der vieltürmigen Stadt Klatovy/Klattau vorbei, wird als Wassergraben um die Burg Švihov geleitet und mündet drei Kilometer südlich der Pilsener Altstadt in die Radbuza. Die Úslava schließlich, der kürzeste der Pilsener Flüsse, kommt von Süden her in die westböhmische Hauptstadt und fließt nach 94 Kilometern an der stimmungsvollen Georgskirche in die Berounka.

Wo immer ich in und um Pilsen einen Fluss sah, habe ich ihn fotografiert. Hier anschließend daher eine Auswahl, nicht nach geografischen, sondern nach rein ästhetischen Kriterien. 







 








Die  junge Mže in Grenznähe (oben) und in Tachov/Tachau (unten)




Wer sich in diesen Tagen in der Region Pilsen aufhält, hat noch Gelegenheit, die zweite Aufführung der Symfonické básně „Fünf Flüsse“ mitzuerleben, vorgetragen von einem unter der Leitung des amerikanischen Dirigenten Norman Gamboa stehenden Mega-Jugendorchester, dem junge Musiker aus Pilsen und Mons (diesjährige Kulturhauptstädte), Riga (Kulturhauptstadt 2014), Košice/Kaschau (Kulturhauptstadt 2013) und Breslau (Kulturhauptstdt 2016)  angehören: am 18. Oktober (oh, das ist ja heute!) in der faszinierenden neuromanischen Reithalle in Světce bei Tachov.

Bei Tachov und ganz in der Nähe der jungen Mže habe ich diesen nebelverhangenen Wald fotografiert. Und das ist nun wirklich mein endgültiger Abschied als Stadtschreiberin Pilsen2015. Ich hoffe, dass Rübezahl, der sich hinter den Büschen und Bäumen versteckt, mich weiterhin behütet und dafür sorgt, dass ich bald wieder in meine Heimat Böhmen zurückkehre.













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