Mittwoch, 14. Oktober 2015

Dreharbeiten in Böhmen


Ich, eine Grenzgängerin

Als ich im April meine Stelle als vom Deutschen Kulturforum östliches Europa entsandte Stadtschreiberin in Pilsen, der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt, antrat, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass aus der „Schreiberin“ (sprich: Textautorin) und Fotoautorin auch eine Filmprotagonistin werden würde.

In Potsdam ist vergangene Woche im Babelsberger Filmgymnasium ein erfolgreicher Abend zur Präsentation der „Botschafter mit Notizbuch und Kamera“ (eben Stadtschreiber) über die Bühne gegangen, in dessen Rahmen auch der Dokumentarfilm „Pilsen hat eine Stadtschreiberin. Mit Wolftraud de Concini unterwegs in der westböhmischen Kulturhauptstadt Europas“ Premiere hatte. Uwe Fleischer und Schüler des Filmgymnasiums Babelsberg waren mir im Juli einige Tage lang auf Schritt und Tritt gefolgt, hatten sich die westböhmische Hauptstadt zeigen lassen, meinen Hund Zampa gehätschelt und dabei einen 15-minütigen Dokumentarstreifen gedreht. 

Das Team des Babelsberger Filmgymnasiums bei Dreharbeiten im Juli 2015 in Pilsen

Die Tage unmittelbar vor der Filmpremiere in Potsdam war ich Protagonistin eines weiteren Dokumentarstreifens: „Grenzgänge“ ist der derzeit noch provisorische Titel eines Films, den Martin Hanni (Regisseur) und Agostino Fuscaldo (Kameramann) von der Produktionsgesellschaft MediaArt in Bozen gedreht haben. 

Zu den Aufnahmen fuhren wir vier (Martin und Agostino, Zampa und ich) kreuz und quer durch Böhmen: vom einst von Deutschen bewohnten, heute verschwundenen Dorf Plöß/Pleš ganz nahe bei der tschechischen Grenze gegen Bayern über Luková mit seiner „Geisterkirche“ und Pilsen bis nach Ostböhmen. Der „Dreh“ in der westböhmischen Hauptstadt mit dem leider demnächst ausscheidenden Bischof František Radkovský (er könnte eine neue Beschäftigung als Schauspieler finden!) war interessant und vergnüglich, die Begegnung mit meiner ostböhmischen Geburtsstadt Trutnov/Trautenau und meinem Heimatort Radvanice/Radowenz ergreifend. Es war ein purer Glücksfall, dass wir die Radowenzer Schule, in der ich meine ersten fünf Lebensjahre verbracht hatte, offen vorfanden. Und nachdem ich einem jungen Tschechen in meiner „Mit-Händen-und-Füßen-Sprache“ verständlich gemacht hatte, dass ich hier als kleines Mädchen gelebt hatte, dass mein Vater hier Lehrer gewesen war und dass ich mich an dem Kachelofen, dessen Kaminrohrloch noch an einer Wand gähnte, gewärmt hatte, ließ er uns zum Filmen und Fotografieren hinein. 

Dreharbeiten (links der Südtiroler Regisseur Martin Hanni) auf dem Friedhof in Chvaleč/Qualisch
Blick auf Trutnov/Trautenau im ersten Morgengrauen


„Meine“ Schule in Radvanice/Radowenz heute

Die Radowenzer Schule heute innen: Hier befand sich unsere Küche.

Herzklopfen auch im Staatlichen Bezirksarchiv in Trautenau, als Direktor Roman Reil aus den Archivbeständen ein altes Register herausholte: den Band mit meiner Geburtsurkunde. Vor Aufregung habe ich dann vergessen, aus dem Fenster des Archivs ein Foto von der Brauerei Krakonoš zu machen – der seit 1582 bestehenden Rübezahl-Brauerei, in der der spätere tschechische Staatspräsident Václav Havel einige Zeit lang als Arbeiter Säcke geschleppt hatte.

Dann das gut erhaltene Grab meines Großvaters Robert Schreiber auf dem Friedhof in Chvaleč/Qualisch, der Grenzübergang nach Polen in Zdoňov/Merkelsdorf, wo wir im Juni 1945 unsere böhmische Heimat hatten verlassen müssen, die Erinnerung an den zu Jugendzeiten berühmten Adersbacher-Felsen-Kletterer Bohumil Sýkora, der mich vor zwei Jahren begeistert und begeisternd durch diese Gegend gefahren hatte, aber im Juli 2015 gestorben ist. Wie viele Emotionen.


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