Ich, eine Grenzgängerin
Als ich im April
meine Stelle als vom Deutschen Kulturforum östliches Europa entsandte
Stadtschreiberin in Pilsen, der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt,
antrat, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass aus der „Schreiberin“ (sprich:
Textautorin) und Fotoautorin auch eine Filmprotagonistin werden würde.
In Potsdam ist
vergangene Woche im Babelsberger Filmgymnasium ein erfolgreicher Abend zur
Präsentation der „Botschafter mit Notizbuch und Kamera“ (eben Stadtschreiber)
über die Bühne gegangen, in dessen Rahmen auch der Dokumentarfilm „Pilsen hat eine
Stadtschreiberin. Mit Wolftraud de Concini unterwegs in der westböhmischen
Kulturhauptstadt Europas“ Premiere hatte. Uwe Fleischer und Schüler des
Filmgymnasiums Babelsberg waren mir im Juli einige Tage lang auf Schritt und
Tritt gefolgt, hatten sich die westböhmische Hauptstadt zeigen lassen, meinen
Hund Zampa gehätschelt und dabei einen 15-minütigen Dokumentarstreifen gedreht.
Das Team des Babelsberger Filmgymnasiums bei Dreharbeiten im Juli 2015 in Pilsen |
Die Tage
unmittelbar vor der Filmpremiere in Potsdam war ich Protagonistin eines
weiteren Dokumentarstreifens: „Grenzgänge“ ist der derzeit noch provisorische
Titel eines Films, den Martin Hanni (Regisseur) und Agostino Fuscaldo
(Kameramann) von der Produktionsgesellschaft MediaArt in Bozen gedreht haben.
Zu den Aufnahmen
fuhren wir vier (Martin und Agostino, Zampa und ich) kreuz und quer durch
Böhmen: vom einst von Deutschen bewohnten, heute verschwundenen Dorf Plöß/Pleš
ganz nahe bei der tschechischen Grenze gegen Bayern über Luková mit seiner
„Geisterkirche“ und Pilsen bis nach Ostböhmen. Der „Dreh“ in der westböhmischen
Hauptstadt mit dem leider demnächst ausscheidenden Bischof František Radkovský
(er könnte eine neue Beschäftigung als Schauspieler finden!) war interessant
und vergnüglich, die Begegnung mit meiner ostböhmischen Geburtsstadt
Trutnov/Trautenau und meinem Heimatort Radvanice/Radowenz ergreifend. Es war
ein purer Glücksfall, dass wir die Radowenzer Schule, in der ich meine ersten
fünf Lebensjahre verbracht hatte, offen vorfanden. Und nachdem ich einem jungen
Tschechen in meiner „Mit-Händen-und-Füßen-Sprache“ verständlich gemacht hatte,
dass ich hier als kleines Mädchen gelebt hatte, dass mein Vater hier Lehrer
gewesen war und dass ich mich an dem Kachelofen, dessen Kaminrohrloch noch an
einer Wand gähnte, gewärmt hatte, ließ er uns zum Filmen und Fotografieren
hinein.
Dreharbeiten (links der Südtiroler Regisseur Martin Hanni) auf dem Friedhof in Chvaleč/Qualisch |
„Meine“ Schule in Radvanice/Radowenz heute |
Die Radowenzer Schule heute innen: Hier befand sich unsere Küche. |
Herzklopfen auch
im Staatlichen Bezirksarchiv in Trautenau, als Direktor Roman Reil aus den
Archivbeständen ein altes Register herausholte: den Band mit meiner
Geburtsurkunde. Vor Aufregung habe ich dann vergessen, aus dem Fenster des
Archivs ein Foto von der Brauerei Krakonoš zu machen – der seit 1582
bestehenden Rübezahl-Brauerei, in der der spätere tschechische Staatspräsident
Václav Havel einige Zeit lang als Arbeiter Säcke geschleppt hatte.
Dann das gut erhaltene
Grab meines Großvaters Robert Schreiber auf dem Friedhof in Chvaleč/Qualisch,
der Grenzübergang nach Polen in Zdoňov/Merkelsdorf, wo wir im Juni 1945 unsere
böhmische Heimat hatten verlassen müssen, die Erinnerung an den zu Jugendzeiten
berühmten Adersbacher-Felsen-Kletterer Bohumil Sýkora, der mich vor zwei Jahren
begeistert und begeisternd durch diese Gegend gefahren hatte, aber im Juli 2015
gestorben ist. Wie viele Emotionen.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen