Meine fast letzten Pilsen-Tage
Seltsam: Eines meiner ersten Pilsen-Fotos war das Nové Divadlo, das im
Herbst 2014 eröffnete „Neue Theater“, dessen schräge, durchlöcherte
Betonfassade bei nicht vielen Einheimischen Anklang findet. Und meine (vorerst)
letzten Pilsen-Fotos habe ich heute eben im Neuen Theater gemacht. So schließt
sich schon wieder ein Kreis.
Die „durchlöcherte“ Betonfassade des vor einem Jahr eröffneten Neuen Theaters in Pilsen |
Die Fassaden-„Löcher“ des Theaters eröffnen von innen her interessante Durchblicke. |
Und gerade kurz vor Ende meines unvergesslichen Pilsenaufenthalts habe ich
mich einer Tortur unterziehen müssen – richtiger gesagt: mit Vergnügen
unterzogen. Es ist immer eine Freude, den Pilsener Top-Fotografen Radovan
Kodera zu treffen, über den ich schon zu Beginn meiner Pilsenzeit einen Text
eingegeben hatte.
Er hatte mich fragen lassen, ob ich zu einer Foto-Séance bereit wäre. Er
macht großformatige, sehr statische Schwarzweißfotos, wie ich sie schon bei
einer Pleinair-Ausstellung bewundert hatte. Wie hätte ich ein solches Angebot
ablehnen können? Denn Radovan Kodera ist nicht nur ein außergewöhnlicher
Fotograf, sondern auch ein liebenswerter Mensch. Eine halbe Stunde lang ließ
ich mich in seinem Atelier im Dachgeschoss eines mittelalterlichen Hauses am
Hauptplatz „foltern“: ich im grellen Scheinwerferlicht, er hinter einem
altertümlichen Fotoapparat und unter einem dunklen Mantel versteckt. Bitte, den
Kopf nach links, noch etwas weiter nach links, den Blick hier auf dieses Loch,
bitte gerade sitzen, das Kinn etwas höher, die Schultern zurück, jetzt nicht
bewegen … Ein Blitzlicht und schon war ich auf der Platte. Bei einer seiner
nächsten Ausstellungen kann ich mich dann wohl begutachten. Jedenfalls verstehe ich jetzt mehr denn je, dass sich nicht alle Leute mit Begeisterung fotografieren lassen.
Foto-Tortur in Radovan Koderas Atelier |
Das war gestern. Heute wurde im Neuen Theater eine Ausstellung von
Professoren und Studenten der Fakultät für Kunst und Design der Westböhmischen
Universität eröffnet. Unter den Arbeiten waren mehrere dieser großformatigen
Kodera-Porträts. Und ich hatte Gelegenheit, das Nové Divadlo und seine
umstrittene Fassade auch einmal von innen anzuschauen. Mir gefällt sie. Von
außen wie von innen.
Zwei Schwarzweißporträts von Radovan Kodera sind derzeit im Neuen Theater zu sehen. |
Dann fuhr ich, einstweilen zum letzten Mal, wieder über den Berg in
Richtung Rokycany. Begleitet und geleitet von den immer rareren Oberleitungen
und am jüdischen Friedhof vorbei, zwischen dessen Grabsteinen ich mehrmals hin-
und hergewandert war, auf der Suche nach Namen, die ich mit den
Adolf-Loos-Interieurs und besonders der Familie von Claire Beck (ich muss mehr
über sie und ihren Tod in einem KZ im lettischen Riga erfahren) in Verbindung
bringen konnte.
Wehmut? Ja, nein. In wenigen Tagen komme ich ja wieder, zu Dreharbeiten für
einen Dokumentarfilm. Hier in Pilsen, in meiner Geburtsstadt Trautenau/Trutnov,
meinem Heimatdorf Radowenz/Radvanice und in Nordböhmen. Und auch Posts habe ich
noch einige einzustellen: über das berüchtigte Gefängnis Bory, das ich vor ein
paar Tagen mit leichter Gänsehaut besichtigt habe, über die fünf Flüsse, die
Pilsen durchziehen und umarmen und mich immer von Neuem faszinieren. So schnell
wird mich meine neue böhmische Heimat jetzt nicht wieder los.
Das moderne Pilsen spiegelt sich in der Radbuza. |
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