Mittwoch, 23. September 2015

Mit etwas Wehmut


Meine fast letzten Pilsen-Tage

Seltsam: Eines meiner ersten Pilsen-Fotos war das Nové Divadlo, das im Herbst 2014 eröffnete „Neue Theater“, dessen schräge, durchlöcherte Betonfassade bei nicht vielen Einheimischen Anklang findet. Und meine (vorerst) letzten Pilsen-Fotos habe ich heute eben im Neuen Theater gemacht. So schließt sich schon wieder ein Kreis.

Die „durchlöcherte“ Betonfassade des vor einem Jahr eröffneten Neuen Theaters in Pilsen





Die Fassaden-„Löcher“ des Theaters eröffnen von innen her interessante Durchblicke.

Und gerade kurz vor Ende meines unvergesslichen Pilsenaufenthalts habe ich mich einer Tortur unterziehen müssen – richtiger gesagt: mit Vergnügen unterzogen. Es ist immer eine Freude, den Pilsener Top-Fotografen Radovan Kodera zu treffen, über den ich schon zu Beginn meiner Pilsenzeit einen Text eingegeben hatte.

Er hatte mich fragen lassen, ob ich zu einer Foto-Séance bereit wäre. Er macht großformatige, sehr statische Schwarzweißfotos, wie ich sie schon bei einer Pleinair-Ausstellung bewundert hatte. Wie hätte ich ein solches Angebot ablehnen können? Denn Radovan Kodera ist nicht nur ein außergewöhnlicher Fotograf, sondern auch ein liebenswerter Mensch. Eine halbe Stunde lang ließ ich mich in seinem Atelier im Dachgeschoss eines mittelalterlichen Hauses am Hauptplatz „foltern“: ich im grellen Scheinwerferlicht, er hinter einem altertümlichen Fotoapparat und unter einem dunklen Mantel versteckt. Bitte, den Kopf nach links, noch etwas weiter nach links, den Blick hier auf dieses Loch, bitte gerade sitzen, das Kinn etwas höher, die Schultern zurück, jetzt nicht bewegen … Ein Blitzlicht und schon war ich auf der Platte. Bei einer seiner nächsten Ausstellungen kann ich mich dann wohl begutachten. Jedenfalls verstehe ich jetzt mehr denn je, dass sich nicht alle Leute mit Begeisterung fotografieren lassen.

Foto-Tortur in Radovan Koderas Atelier

Das war gestern. Heute wurde im Neuen Theater eine Ausstellung von Professoren und Studenten der Fakultät für Kunst und Design der Westböhmischen Universität eröffnet. Unter den Arbeiten waren mehrere dieser großformatigen Kodera-Porträts. Und ich hatte Gelegenheit, das Nové Divadlo und seine umstrittene Fassade auch einmal von innen anzuschauen. Mir gefällt sie. Von außen wie von innen.

Zwei Schwarzweißporträts von Radovan Kodera sind derzeit im Neuen Theater zu sehen.

Dann fuhr ich, einstweilen zum letzten Mal, wieder über den Berg in Richtung Rokycany. Begleitet und geleitet von den immer rareren Oberleitungen und am jüdischen Friedhof vorbei, zwischen dessen Grabsteinen ich mehrmals hin- und hergewandert war, auf der Suche nach Namen, die ich mit den Adolf-Loos-Interieurs und besonders der Familie von Claire Beck (ich muss mehr über sie und ihren Tod in einem KZ im lettischen Riga erfahren) in Verbindung bringen konnte.

Wehmut? Ja, nein. In wenigen Tagen komme ich ja wieder, zu Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm. Hier in Pilsen, in meiner Geburtsstadt Trautenau/Trutnov, meinem Heimatdorf Radowenz/Radvanice und in Nordböhmen. Und auch Posts habe ich noch einige einzustellen: über das berüchtigte Gefängnis Bory, das ich vor ein paar Tagen mit leichter Gänsehaut besichtigt habe, über die fünf Flüsse, die Pilsen durchziehen und umarmen und mich immer von Neuem faszinieren. So schnell wird mich meine neue böhmische Heimat jetzt nicht wieder los.

Das moderne Pilsen spiegelt sich in der Radbuza.


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