Sonntag, 13. September 2015

Neue Spielregeln


Von Asylanten und Obdachlosen

Eine neue Lizzie Maggie? Wer das war? Elizabeth (wie sie in Wirklichkeit hieß) Maggie, eine Schauspielerin und Schriftstellerin aus dem US-Bundesstaat Maryland, hat im Jahr 1903 das Monopoly-Spiel erfunden – oder richtiger gesagt: eine Vorform dieses über die ganze Welt verbreiteten Spiels, das dann 1935 von einem arbeitslosen Heizungstechniker patentiert wurde.

Was das wieder mit Pilsen zu tun hat? Als Artist in Residence lebt hier zur Zeit Janna, eine 25 Jahre junge deutsche Grafikerin. Janna Ulrich hat als Master-Arbeit in Amsterdam das Gesellschaftsspiel „Niemandsland” erfunden. Figuren dieses Spiels sind Asylanten, Sicherheitskräfte und „normale” Bürger, Ausgangspunkt ist – da sie ja illegale Einwanderer sind – das Gefängnis, Ziel die Abreise mit dem Flugzeug. Was nicht alle Asylanten schaffen. 

Die deutsche Grafikerin Janna Ullrich, zur Zeit als Artist in Residence in Pilsen

Bei ihrem Artist-in-Residence-Aufenthalt in der westböhmischen Hauptstadt hat Janna begonnen, neue Spielregeln für das Monopoly-Spiel zu erarbeiten. Regeln, die es den Spielern nicht erlauben, Besitz, also „Monopole“, anzusammeln – wie es beim heutigen Monopoly-Spiel der Fall ist. Im Gegenteil. Sie kommen von Besitz auf Nichtbesitz, aber der Zugang zu den Grundbedürfnissen des menschlichen Lebens – Recht auf Arbeit, auf Wohnung, auf Gesundheitsfürsorge und so weiter – wird ihnen gesichert.

Janna erzählt voll Enthusiasmus, wie sie – von einem holländischen Flüchtlingskollektiv inspiriert – dazu kam, sich mit diesen Themen auseinandersetzen: gegen die Asylindustrie, in der Unmengen Geld gemacht werden. Und inzwischen bastelt sie, in gewollter Isolierung in zwei Räumen in der Pilsener Kreativwerkstatt DEPO2015, an einem neuen Monopoly. Zu einer gerechteren Welt, in der nicht oft unsauber angehäufter Reichtum und Geldmacherei zählen, sondern einzig die Menschenrechte. Für alle.

Ich hatte noch Janna mit ihren revolutionären Monopoly-Spielregeln und ihrem sozialen Engagement im Kopf, als – nach der Präsentation einer von der Organisation Pilsen2015 herausgegebenen Publikation meiner Texte und Fotos – Karina Kubišová auf mich zukam, die Kuratorin des Projekts „Zen – Die Stadt als Ausstellungsraum“. In einem Post hatte ich Ende Mai davon berichtet. „Budelíp“, „Es wird besser“, war der Titel einer von Professoren und Studenten der Ladislav-Sutnar-Fakultät für Architektur und Design organisierten Ausstellung, die den Obdachlosen gewidmet war. 


Die als Provokation gedachten Container-Asylheime

Ich hatte die zu Mini-Unterkünften umgemodelten Müllcontainer für eine reine Herausforderung gehalten, Anstoß zum Nachdenken über das Leben am Rande. Aber Karina erzählte es mir anders: Gleich nach der Eröffnung waren tatsächlich Obdachlose in die Mini-Häuschen eingezogen. Sie richteten sich in den winzigen Räumen ein, hatten aber wenigstens ein Dach über dem Kopf, brachten auch Namensschilder an den einzelnen Mini-Häusern an. Aber – solche Geschichten haben immer ein Aber – wenige Wochen später waren die Container von der Stadtverwaltung abtransportiert worden: Die Umwohner hätten protestiert, es bestünde Feuergefahr und so weiter. Und die Obdachlosen zogen ab, ohne Widerstand. „Ihr nehmt uns unser Zuhause“, war ihr einziger Einspruch.

Was als provokatorische Kunstausstellung gedacht war, die mehrere Monate hätte bleiben sollen, ist vor der Zeit abgebaut worden.

Karina Kubišová war sehr traurig, als sie mir diese Geschichte erzählte.

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