Am jüdischen Friedhof in Spálené Poříčí |
Ein jüdischer Friedhof
Mit drei Minderheiten will ich mich in Pilsen
beschäftigen: mit Deutschen, Roma und Juden. Von Pilsendeutschen und Roma war
in meinen vorausgegangenen Blogs schon kurz die Rede. So fehlten noch die Juden.
Im späten 19. Jahrhundert waren sie – nach der vollständigen Gleichberechtigung
um die Jahrhundertmitte – so wohlhabend und einflussreich geworden, dass sie in
Pilsen einen Riesenbau aufführen konnten: die im Stadtbild mit ihrer
Doppelturmfassade dominante und ihren maurischen Bauformen seltsam
fremdländisch anmutende Großen Synagoge. Ich hatte sie gestern besuchen
wollen, war aber mit meinem kleinen Hund kein gern gesehener Gast. Verständlicherweise.
Doch ich hatte vom jüdischen Friedhof in Spálené Poříčí
gelesen, einem südöstlich von Pilsen gelegenen Städtchen. Der Tag war frühlingshaft schön und lud zu einer Tour aufs Pilsner Land ein.
Die kaiserlichen Truppen, die zu Beginn des
Dreißigjährigen Krieges von Feldmarschall Charles Bonaventure de Longueval,
Comte de Bucquoy, befehligt
wurden, bekamen 1620 nach dem Sieg am Weißen Berg bei
Prag von Kaiser Ferdinand II. einträgliche Besitzungen übertragen und das Recht
zum Brandschatzen zugestanden. Was sie ausgiebig nutzten. Auch im böhmischen
Ort Poříčí, der daher zu Spálené Poříčí wurde, zum „niedergebrannten Poříčí“ –
zu Brennporitschen, wie der Ort von den Deutschböhmen genannt wurde.
Zur Besiedlung der zerstörten Ortschaft kamen bald auch
Juden heran. Hier, zum Wiederaufbau, waren sie, die sonst Ausgegrenzten, gern
gesehen. Es kamen so viele, Handwerker und Händler, dass die jüdische Gemeinde
sich bald eine Synagoge leisten konnte. Und vom Jahr 1670 an den Friedhof
anlegen ließ.
Die Einheimischen von Spálené Poříčí sind heute stolz auf
ihren jüdischen Friedhof. Auch der freundliche Václav. Im Gasthaus hatte er uns
schon die Speisekarte in ein gebrochenes Deutsch übersetzt, hatte dabei besonders die Preise
hervorgehoben, die ihm – 80 Kronen (knapp 3 Euro) für ein Fleischgericht – wohl
hoch erschienen. Das Bier durften wir ihm nicht bezahlen. Das sei „seine
Sache“, gab er uns zu verstehen und begleitete uns dann zum židovský hřbitov am Ortsrand. Ein stimmungsvoller Ort mit seinen an die 200 Grabsteinen.
Im Jahr 1937 hatte hier die letzte jüdische Bestattung
stattgefunden. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten sowieso nur noch
wenige Juden im Städtchen, acht Männer, die die Konzentrationslager nicht
überlebten, und zwei Frauen, die gleich nach Kriegsende auswanderten. 1946
wurde auch die Synagoge abgetragen. Juden waren keine mehr da. Doch der
Friedhof wird bis heute besucht. Nicht nur von Touristen auf der Suche nach
fotogenen Motiven mit moosbewachsenen, in jüdischen Lettern beschrifteten
Grabsteinen. Auch Juden müssen in letzter Zeit hier gewesen sein. Wer sonst
hätte auf die altersschiefen Grabsteine die kleinen Steinchen gelegt? Diese Dofek genannten „Anklopfsteine“, die von
Juden bei Friedhofsbesuchen zurückgelassen werden. Ein Gruß an die Toten? Eine
Erinnerung an die Vergangenheit, als das biblische Volk in der Wüste lebte (und
starb) und seine Gräber durch aufgehäufte Steine vor Grabräubern und Aasfressern
schützte? Oder einfach ein Grabschmuck: dauerhafte Steine statt verwelkender
Blumen? Die Historiker mögen sich über Herkunft und Bedeutung dieser Steinchen
den Kopf zerbrechen und nach rationalen Erklärungen suchen. Sie bleiben
rätselhaft und von magischem Reiz.
Alte Grabsteine am jüdischen Friedhof in Spálené Poříčí |
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