Donnerstag, 30. April 2015

28. Filmfestival Pilsen


Ein Stück Wien im Bürgervereinshaus

Eigentlich wollte ich mir nur das Měšťanská beseda in der Kopeckého sady anschauen und mir nebenbei einen guten Kaffee gönnen. Im „Bürgervereinshaus“, das 1901 nach einem Entwurf des tschechischen Architekten Alois Čenský fertiggestellt worden war, gibt es angeblich einen der besten Kaffees in der Stadt. Und den wollte ich mir, als fanatische Kaffeetrinkerin, nicht entgehen lassen. Doch auf eins war ich nicht vorbereitet: dass ich in die schönste Wiener Kaffehausatmosphäre eintauchen würde. Purer Jugendstil ist das Café, das während der Monarchie glorreiche Zeiten gesehen haben muss und sie heute, mit Lüstern, dunklen Holztäfelungen und galanten Wandgemälden, noch nacherleben lässt. Wien hat also auch bis hier nach Westböhmen gereicht. Zumindest in seiner genussfreudigen Lebensart. 

Wiener Kaffeehausatmosphäre ...
... im Bürgervereinshaus Měšťanská beseda
Im frühen 20. Jahrhundert traf sich hier die „gute“ Pilsner Gesellschaft, heute gehen Gäste in lässig-salopper Kleidung ein und aus, in ungezwungenem Auftreten auch vor Fotoapparaten und Fernsehkameras (und auch mein Hund Zampa wird gefilmt). Hier, im traditionsreichen Bürgervereinshaus, geht bis zum 2. Mai das 28. Filmfestival über die Bühne, bei dem tschechische und slowakische Regisseure ihre Dokumentar- und Spielfilme präsentieren. Tschechien und die Slowakei wieder einmal vereint. 

Der tschechische Fotograf Karel Slach (links) und der slowakische Regisseur Robert Kirchhoff
Mit zwei von ihnen komme ich ins Gespräch: mit dem tschechischen Fotografen Karel Slach und dem slowakischen Regisseur (hier aber Jurymitglied) Robert Kirchhoff. „Pilsen, Kulturhauptstadt Europas?“, frage ich ihn. „Oh ja“, meint Kirchhoff (und trotz seines deutschen Namens müssen wir auf Englisch miteinander reden), „hier ist ja Europa, und Pilsen wird für immer Auftrieb bekommen. Ich habe das auch in Košice gesehen (Anmerkung: die ostslowakische Stadt Košice/Kaschau war 2013 Europäische Kulturhauptstadt). Die Leute dort haben zu neuem Selbstbewusssein gefunden, zu einer neuen Identität. Und das wird sicher auch in Pilsen passieren“, fährt er fort. „Es wird sich das Klischee der ,Nur-Bier-Stadt‘ abschütteln und der Welt zeigen, dass es sehr viel mehr ist. Ich war seit einigen Jahren nicht hier und muss sagen, dass sich vieles geändert und die Stadt sich kulturell geöffnet hat.“

Die beiden müssen weiter, aber vorher schenkt mir Robert Kirchhoff noch eine Skizze, die er von Karel Slach auf einer Seite meines Notizblocks gemacht hat: von einem gutmütig lächelnden Tschechen.

Draußen auf den Pilsner Straßen und Plätzen herrscht inzwischen Lampenfieber. Die westböhmische Stadt bereitet sich begeistert auf den 70. Jahrestag der Befreiung durch amerikanische Truppen am 5. Mai 1945 vor.  Und vom 1. bis zum 6. Mai wird sie überquellen: von offiziellen Zeremonien, Militärparaden, Gedächtnisfeiern, Menschen. 

Begeisterte Plakate zum „Tag der Befreiung“
 
Und mein Hund Zampa wartet vor der Alten Synagoge.


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen