Ein Stück Wien im Bürgervereinshaus
Eigentlich wollte
ich mir nur das Měšťanská beseda in der Kopeckého sady anschauen und mir
nebenbei einen guten Kaffee gönnen. Im „Bürgervereinshaus“, das 1901 nach einem
Entwurf des tschechischen Architekten Alois Čenský fertiggestellt worden war,
gibt es angeblich einen der besten Kaffees in der Stadt. Und den wollte ich mir,
als fanatische Kaffeetrinkerin, nicht entgehen lassen. Doch auf eins war ich
nicht vorbereitet: dass ich in die schönste Wiener Kaffehausatmosphäre
eintauchen würde. Purer Jugendstil ist das Café, das während der Monarchie glorreiche
Zeiten gesehen haben muss und sie heute, mit Lüstern, dunklen Holztäfelungen
und galanten Wandgemälden, noch nacherleben lässt. Wien hat also auch bis hier
nach Westböhmen gereicht. Zumindest in seiner genussfreudigen Lebensart.
Wiener Kaffeehausatmosphäre ... |
... im Bürgervereinshaus Měšťanská beseda |
Im frühen 20.
Jahrhundert traf sich hier die „gute“ Pilsner Gesellschaft, heute gehen Gäste
in lässig-salopper Kleidung ein und aus, in ungezwungenem Auftreten auch vor
Fotoapparaten und Fernsehkameras (und auch mein Hund Zampa wird gefilmt). Hier,
im traditionsreichen Bürgervereinshaus, geht bis zum 2. Mai das 28.
Filmfestival über die Bühne, bei dem tschechische und slowakische Regisseure
ihre Dokumentar- und Spielfilme präsentieren. Tschechien und die Slowakei
wieder einmal vereint.
Der tschechische Fotograf Karel Slach (links) und der slowakische Regisseur Robert Kirchhoff |
Mit zwei von
ihnen komme ich ins Gespräch: mit dem tschechischen Fotografen Karel Slach und
dem slowakischen Regisseur (hier aber Jurymitglied) Robert Kirchhoff. „Pilsen,
Kulturhauptstadt Europas?“, frage ich ihn. „Oh ja“, meint Kirchhoff (und trotz
seines deutschen Namens müssen wir auf Englisch miteinander reden), „hier ist
ja Europa, und Pilsen wird für immer Auftrieb bekommen. Ich habe das auch in Košice
gesehen (Anmerkung: die ostslowakische Stadt Košice/Kaschau war 2013 Europäische
Kulturhauptstadt). Die Leute dort haben zu neuem Selbstbewusssein gefunden, zu
einer neuen Identität. Und das wird sicher auch in Pilsen passieren“, fährt er
fort. „Es wird sich das Klischee der ,Nur-Bier-Stadt‘ abschütteln und der Welt
zeigen, dass es sehr viel mehr ist. Ich war seit einigen Jahren nicht hier und
muss sagen, dass sich vieles geändert und die Stadt sich kulturell geöffnet
hat.“
Die beiden müssen weiter, aber vorher schenkt mir Robert
Kirchhoff noch eine Skizze, die er von Karel Slach auf einer Seite meines
Notizblocks gemacht hat: von einem gutmütig lächelnden Tschechen.
Draußen auf den
Pilsner Straßen und Plätzen herrscht inzwischen Lampenfieber. Die westböhmische
Stadt bereitet sich begeistert auf den 70. Jahrestag der Befreiung durch
amerikanische Truppen am 5. Mai 1945 vor.
Und vom 1. bis zum 6. Mai wird sie überquellen: von offiziellen
Zeremonien, Militärparaden, Gedächtnisfeiern, Menschen.
Begeisterte Plakate zum „Tag der Befreiung“ |
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