Donnerstag, 28. Mai 2015

Die Stadt als Ausstellungsraum


Budelíp – Es wird besser

Auf einer Bank in den Grünanlagen auf der Náměstí Emila Škody, dem Emil-Škoda-Platz in Pilsen, saßen während der Vernissage zwei Obdachlose. Ob sie sich von den schön blau gestrichenen und mit einem kleinen Rundfenster versehenen Mini-(Müll-)Containern auf den Arm genommen fühlten oder die ironisch-bittere Kritik der Designstudenten am tschechischen Sozialsystem verstanden? Ich bin nicht sicher, ob sie das Drumherum überhaupt interessierte. Ihnen war wohl wichtiger, dass sie beim Apéro etwas zu trinken mitbekommen hatten und niemand sie wegschickte oder diskriminierte. Das Publikum war intelligent und tolerant genug, um sie ihre Ausgrenzung nicht spüren zu lassen.

Die Ausstellung mit dem vielsagenden Titel Budelíp (Es wird besser werden“) ist Teil eines vom tschechischen Architekten Rostislav Koryčánek ersonnenen Projekts, in dessen Verlauf öffentliche Plätze und Orte mit Kunstwerken qualitativ und menschengerecht umgestaltet werden sollen. Hier auf dem Emil-Škoda-Platz, der seit der Krise der traditionsreichen Pilsner Škoda-Werke seine Funktion als täglicher An- und Abfahrtsplatz von Tausenden von Arbeitern verloren hat, fand die dritte der insgesamt sieben Veranstaltungen statt. Jiří Beránek, Benedikt Tolar und Studenten der Ladislav-Sutnar-Fakulät für Kunst und Design an der Westböhmischen Universität griffen das Thema der Obdachlosen auf – ein Problem, das in Tschechien staatlicherseits noch auf eine Lösung wartet. 

Unbefangenes Kinderspiel in einem Mini-„Asylheim“

Es gibt keine (oder zu wenige) Asylheime für Obdachlose? Wir bauen sie ihnen, sagten sich die Studenten. Mit den skurril-befremdenden, in Wirklichkeit bitterbösen Mini-Wohncontainern, in denen bei der Ausstellungseröffnung einige Kinder unschuldig-unbefangen spielten, wollten sie zum Nachdenken anregen: über die soziale Ausgrenzung (nicht nur) der Obdachlosen und (ich zitiere aus dem Ausstellungsfolder) „die undichte Schwelle zwischen der Sicherheit des eigenen Wohnens und der Unsicherheit des Lebens auf der Straße“. 

Keramikglockenspiel, im Hintergrund die Škoda-Werke

Die Unterführung vom Platz zu den Škoda-Werken

Malerei und Graffiti in der Unterführung
 
Zur Ausstellung „Es wird besser werden“ gehören auch eine aparte Keramikglockenkomposition, an die Wände der einst viel begangenen, heute heruntergekommenen und verschmutzten Fußgängerunterführung gemalte unförmige, nackte Frauenkörper und in säuberlichen Reihen angepflanzte Kartoffeln, die pünktlich zur Vernissage hätten blühen sollen. Was nicht geschehen war. Vielleicht sind die Tschechen, nach Jahrzehnten sozialistischer Kollektivwirtschaft, mit ihrem Agrarwissen etwas zurückgeblieben?

Mir hat die Ausstellung gut gefallen. Das Kunstprojekt wird in einem Monat fortgesetzt. Ich warte besonders gespannt darauf, denn es findet unter der Millennium-Brücke an der Radbuza statt. Meinem Pilsner Lieblingsfluss.


Weil ich schon dabei bin, hier noch ein paar Fotos von den farblich attraktiven Seitenmauern der Škoda-Werke:





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