32 Seelen sind zurückgekehrt
Jakub Hadrava war ein
junger Student an der Fakultät für Kunst und Design der Westböhmischen
Universität in Pilsen, als er – auf der Suche nach einem Thema für seine
Bachelorarbeit – im fast menschenleeren Dorf Luková bei Manětín nördlich von Pilsen die Kostel sv. Jiří entdeckte, die
Georgskirche. Abblätternder Putz, verblasste Fresken, leere Altäre. Ein Abbild
von Niedergang und Verfall. Eine Herausforderung an einen jungen Künstler.
Auch die Häuser in Luková haben schon bessere Zeiten gesehen. |
Seine Mitstudentinnen unterzogen sich einer halbstündigen Tortur und ließen mit Gips durchtränkte Leinen- und Spitzenstoffe auf sich trocknen. In den unterschiedlichsten Haltungen. So hocken und kauern hier in der Georgskirche heute 32 wie verschleierte weiße Figuren, lehnen sich aneinander und kommen auf uns zu. Und wenn man recht hinhört, glaubt man sie tuscheln und ihre Gebete murmeln hören. Das bis vor Kurzem vergessene Dörfchen wird jetzt von Touristen aus aller Welt besucht, die „Geisterkirche“ bringt ihm Ruhm und hoffentlich auch Geld für die notwendigen Renovierungsarbeiten ein.
Petr Koukl, der „Wärter“ der Georgskirche in Luková |
„Bis zum Kriegsende lebten hier in Luková an die 80 bis 100
Personen“, erzählt Petr Koukl, der den Schlüssel zu der etwas erhöht über dem
Dorf aufragenden Kirche hat, „heute sind es vier: meine Familie und ein
90-jähriger Mann. Übers Wochenende und im Sommer kommen ein paar Tschechen
herauf, die sich hier ‚eingekauft‘ haben.“
Von den 80 bis 100 Sudetendeutschen, die bei Kriegsende aus Luková vertrieben wurden (die Sprachgrenze verlief wenige
Kilometer weiter östlich), sind jetzt 32 Seelen wieder in ihr Heimatdorf
zurückgekehrt, in ihre Dorfkirche, in der sie immer gebetet hatten.
„Věřící“ (Gläubige) ist der Titel, den Jakub Hadrava, der
junge Designer mit langen Haaren und Intellektuellenbrille, seinen
Installationen gegeben hat. Für viele Besucher aber sind die 32 weißen,
gesichtslosen Geistergestalten in Luková mehr als ein effektvolles Kunstwerk. Sie sind
ihnen tragische Erinnerung an die tragischen Zeiten der Aussiedlung der Deutschen aus Böhmen.
Blick von der Empore in den Innenraum der Georgskirche in Luková |
P.S.:
In Prag, in der Artinbox Gallery, ist in diesen Tagen die Ausstellung
„Odsun“ (Vertreibung) eröffnet worden. Der tschechische Fotograf Lukáš Houdek (der
sich seit mehreren Jahren mit dieser Frage auseinandersetzt) und der
französische Fotograf Philippe Dollo zeigen darin, bis zum 12. Juni, Werke zum
Thema der Aussiedlung der Deutschen aus Böhmen.
Telefonische Anmeldung zum Besuch der Georgskirche in Luková: +420 606 169 636
3 Kommentare:
schon etwas gruselig, wenn man diese Bilder von den "Geistern" (Menschen) sieht...!
Aber der Künstler hat sich wohl etwas dabei gedacht, erstens, dass man an die vielen Vertriebenen denkt, und zweitens, man mit dem Geld, das die Touristen nun bringen, die Kirche renoviert werden kann.
Ein schöner Gedanke,
sehr guter Bericht, Frau de Concini!!
liebe Grüße
S.B.
Mein Großvater war im Anfang des 20.Jahrhunderts Lehrer in der Schule und Organist in der Kirche von Lukova. Mehrere Jahre habe ich den Ort und den Kirchhof besucht, aber niemals war es mir vergönnt, die Kirche von innen zu sehen. Ein Verwandter aus dem Nachbarort hat es ermöglicht , dass die Kirche aufgeschlossen wurde .
Es war für mich ein ergreifendes Erlebnis.
Ich kann nur hoffen, dass weiterhin fleißig gespendet wird, um die Kirche soweit wieder herzustellen , dass sie als Mahnmal erhalten werden kann.
Jakub Hadrava und allen Beteiligten sage ich meinen herzlichen Dank
Ich habe die Kirche im Juli 2019 besucht, toll das sie durch die Kunstwerke vom vollständigen Verfall gerettet werden konnte und wenigstens das Dach wieder Dicht ist. Ein sehr Geschichtsträchtiger Ort.
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