Die Rettung der Lipizzaner
Michaela Kodaková ist nicht nur eine hübsche junge Frau, eine tüchtige
Wirtin im „Dvůr Svržno“ und eine freundliche Mutter von drei Kindern, sondern
auch eine ausgezeichnete Reiterin: Als junges Mädchen hat sie mit ihrem Hengst
„Hanibal“ eine tschechische Meisterschaft gewonnen. Jetzt führt sie mit ihrem
Mann David das Gestüt Svržno in Hostouň – Ortschaften, die bis 1945 Zwirschen
und Hostau hießen.
Und im Jahr 1945 spielte sich hier ein Husarenstück ab, das als
„Operation Cowboy“ in die Geschichte eingegangen ist. Michaela erzählt, sobald
sie die Gäste im gemütlichen restaurace
bedient hat, gern davon, zeigt voller Begeisterung Fotos, Dokumente und Briefe
in einem kleinen Museum, das sie in einem Nebengebäude des Gestüts eingerichtet
hat.
Michaela Kodaková in ihrem kleinen Museum |
Kaum zu glauben: Aber in den letzten Kriegstagen verbündeten sich hier, in
einem westböhmischen Dorf der Region Pilsen nahe der tschechisch-deutschen
Grenze, Amerikaner und Deutsche, die heranrollenden US-Army-Angehörigen mit den
abziehenden Wehrmachtskämpfern, zu einem tollkühnen Unternehmen: um an die 500
Pferde zu retten. Nicht einfache Pferde allerdings, keine Ackergäule oder bei
Kriegsende abgemagerte Schindmähren, sondern das Beste vom Besten der
internationalen Pferdedynastien. Hier in Hostouň/Hostau waren, als das Gebiet
unter deutscher Besatzung stand, alle Pferde aus den berühmtesten, durch die
Front gefährdeten und vom Vormarsch der russischen Truppen bedrohten
Staatsgestüte zusammengezogen worden. Und die meisten waren noble, weiße
Lipizzaner, die in der Spanischen Hofreitschule in Wien seit Jahrhunderten ihre
unglaublichen Gehorsamskunststücke vorführten (und heute wieder vorführen).
Eine Dressurübung mit Lipizzanerpferden in der Spanischen Hofreitschule in Wien |
Um sie vor den Russen zu retten – bei denen sie, einem unfreundlichen Ondit
zufolge, in den Kochtöpfen gelandet wären – trafen Amerikaner und Deutsche
geheime Vereinbarungen. Pferdeliebhaber von der einen Frontseite einigten sich
mit Pferdeliebhabern von der anderen Frontseite. Bei einem
waghalsigen Coup retteten sie alle Pferde, die im Gestüt in Hostouň/Hostau untergebracht
waren, und brachten sie bei Nacht und Nebel über die Grenze nach Bayern. Trächtige
Stuten auf in aller Eile herangebrachten Karren, die Hengste zu Fuß auf
unwegsamen Waldpfaden. Sie dürften sich, könnte ich mir vorstellen, nach diesem eulenspiegelartigen Streich die Hände gerieben haben. Und nach dem Krieg konnte die Wiener Hofreitschule –
erneut unter der Leitung von Oberst Alois Podhajsky, der auch in Hostau eine
Hauptrolle gespielt hatte – bald wieder ihre formidablen Dressurnummern
aufnehmen. Mit den aus einem abgelegenen westböhmischen Dorf geretteten
Pferden.
Oberst Alois Podhajsky auf einem Gemälde von Siegfried Stoitzner |
„Wir hatten Tod und Zerstörung so satt und wollten etwas Schönes tun“, war
der schlichte Kommentar des amerikanischen Colonels Charles H. Reed, eines der
Protagonisten dieser amerikanisch-deutschen Geheimmission. Die im Übrigen mit
Einverständnis und Absegnung des US-Generals George S. Patton ablief, der am 5.
Mai 1945 dann Pilsen befreite. Und der nicht nur ein kriegsdurstiger Kämpe war,
sondern ein großer Pferdeliebhaber: „Get them. Make it fast“, hatte er
befohlen, als er vor der Befreiung Pilsens von dieser „romantischeren“
Befreiung erfuhr: „Holt sie heraus. Aber schnell!“
Soldat bis auf die Knochen: US-General George S. Patton |
Diese wirklich einmal schöne Geschichte, die sich allerdings vor dem
Hintergrund von Krieg und Tod abspielte, wurde im Jahr 1963 von Walt Disney zum
Hollywoodstreifen Flucht der weißen Hengste (Originaltitel Miracle oft he
White Stallions) mit Robert Taylor und Lilli Palmer als Hauptdarsteller
verfilmt, und der holländische Schriftsteller Frank Westermann nahm sie in
seinen 2012 erschienenen Roman Das Schicksal der weißen Pferde. Eine andere
Geschichte des 20. Jahrhunderts* auf.
Zwirschen/Svržno auf einer alten Ansichtskarte |
Svržno/Zwirschen heute |
Wie ich auf diese Geschichte gestoßen bin? Manchmal betätige ich mich eben
hier in und um Pilsen nicht nur als Stadtschreiberin, sondern auch als Amateurdetektivin.
Ein bisschen Miss Marple, der ich ja vielleicht etwas ähnle. Eine ältliche
Dame, die dasselbe Freizeithobby hat wie ich: das Stricken. Und als Detektivin
gehe ich schon seit Monaten den Spuren von zwei Onkeln von mir nach. Zwei
Brüder meiner Mutter, die Priester waren. Der eine in Hostouň/Hostau und Mutěnín/Muttersdorf, der andere in Újezd u Svatého Kříže/Heiligenkreuz.
Eben in Nachbarorten hier in der grenznahen westböhmischen Gegend, in der die
Lipizzaner gerettet wurden und die Turnierreiterin Michaela Kodaková heute das
Gestüt weiterführt, auf dem dieses aus Liebe zu den Pferden geschlossene
Bündnis verfeindeter, aber couragierter Männer zustande gekommen war. Und beim
Abschied erklärt Michaela mir, warum sie so gut Deutsch spricht: „Meine Großmutter war
Deutsche“. Was ich hier in Westböhmen fast täglich höre. Da gibt es kaum
jemanden, der nicht eine deutsche Großmutter, Mutter, Tante, Schwägerin oder
einen deutschen Großvater, Vater, Onkel, Schwager gehabt hätte oder hätte. Das sollte
eigentlich helfen, alle deutsch-tschechischen Spannungen abzubauen.
* Frank Westermann, Das Schicksal der weißen Pferde. Eine andere
Geschichte des 20. Jahrhunderts, München: C.H. Beck 2012
www.konesvrzno.cz
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