Donnerstag, 4. Juni 2015

Adolf-Loos-Interieurs einmal anders


Pilsner Loos-Wohnungen von außen

Das Eingangsportal zum Haus Nr. 19 in der Klatovská

Sie waren alle miteinander verwandt, verschwägert oder zumindest eng befreundet und durch geschäftliche Interessen miteinander verbunden: die wohlhabenden jüdischen Familien in Pilsen, die sich von Adolf Loos ihre Wohnungsinterieurs entwerfen ließen. Nachdem Martha und Wilhelm Hirsch sich 1907 als Erste an den damals noch wenig bekannten, 1870 in Brünn geborenen österreichischen (und später tschechoslowakischen) Architekten gewandt hatte, um sich die Innenräume ihrer Wohnung in der heutigen Plachého entwerfen zu lassen, wurde er – allerdings erst 20 Jahre später, als er auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand – unter den tonangebenden Pilsner Familien geradezu herumgereicht. Zu den Hirschs kamen die Familien Brummel, Eisner, Kraus, Liebstein, Naschauer, Vogel und Weiner. Und natürlich die Becks, deren Tochter Klara im Jahr 1929 Adolf Loos' dritte Ehefrau wurde.



Haus Nr. 6 in der Plachého: Fassade (oben) und Fassadendetail (unten)


Pilsen hat die von Adolf Loos entworfenen Interieurs zu einem Highlight des Kulturhauptstadt-Programms gemacht und rührt eifrig die Werbetrommel zur Besichtigung der teilweise noch erhaltenen, teilweise renovierten oder rekonstruierten Wohnungen. Vielleicht würde sie etwas weniger lautstark mit diesen Loos-Innenausstattungen prahlen, wenn die jahrzehntelang verschwundenen Akten des Prozesses aus dem Jahr 1928, bei dem Adolf Loos der Unzucht mit wirklich sehr jungen, acht- bis zehnjährigen Mädchen angeklagt, aber „im Zweifel von der Anklage freigesprochen“ wurde, schon früher aufgetaucht und nicht erst jetzt im Mai 2015 vom Wiener Stadt- und Landesarchiv veröffentlicht worden wären. So muss sich jeder selbst entscheiden, ob er in Adolf Loos den genialen, avantgardistischen Architekten oder einen pädophilen Straftäter sehen will. Aber vielleicht ist der eine vom anderen nicht zu unterscheiden? Oder doch?

Da ich seit meiner Ankunft in Pilsen vor lauter Schreiben und Fotografieren und Kaffeetrinken noch nicht dazu gekommen bin, mir die Interieurs anzuschauen, habe ich mich auf eine Loos-Entdeckungstour anderer Art gemacht: Ich habe die Fassaden und Fassadendetails der Häuser fotografiert, hinter denen sich von Adolf Loos entworfene Interieurs befinden oder befanden.

Hier nachfolgend einfach eine Reihe von Fotos – mit einer Vorbemerkung: Bevor man ein Haus betritt, wirft man gewöhnlich einen Blick auf die Fassade. Um schon beim ersten Eindruck Rückschlüsse auf das Innere und seine Bewohner zu ziehen. Wer das auch bei den Adolf-Loos-Interieurs in Pilsen versucht, zieht garantiert Fehlschlüsse. Äußeres und Inneres scheinen nichts miteinander zu tun zu haben. Aber das hatte Adolf Loos auch gar nicht beabsichtigt. Und auch seine Auftraggeber nicht. Als hätten sie sich hinter schlichten, banalen Fassaden verbergen und ihre Wohlhabenheit nicht zur Schau stellen wollen. Was für Juden, die dem Urteil und der Kritik der Nicht-Juden immer ausgesetzt waren, wohl keine Seltenheit ist.

Auf einige der Familiengeschichten – besonders auf die von Klara Beck Loos, Adolfs dritter Frau – will ich in einem späteren Beitrag eingehen. Es sind fast immer tragische Familienschicksale, die in Auschwitz oder Theresienstadt oder Riga enden. Hier nur, gewissermaßen als Einführung, einige Fotos. Mit Angabe der heutigen Adresse, nicht aber der Erbauer oder Besitzer, die mehrfach gewechselt haben. Eine Zusammenstellung, die auch einen kleinen Einblick in die hochinteressante, vielgestaltige Pilsner Architektur des beginnenden 20. Jahrhunderts gibt.

Haus Nr. 10 in der Bendova: zwei Details der Fassade


 
Haus  Nr. 20 in der Husova

Haus Nr. 58 in der Husova


Haus Nr. 12 in der Klatovská. Die Wohnung im zweiten Stock dieses Hauses wurde der Familie Otto Beck, den Schwiegereltern von Adolf Loos, von der Besitzerfamilie Friedler gekündigt. Die Becks zogen in das Doppelhaus am Náměstí Míru (siehe weiter unten), ebenfalls in den zweiten Stock, und verlegten die Einrichtung dorthin.
Haus Nr. 19 in der Klatovská

 
Haus Nr. 22 in der Klatovská, Fassadendetail

Haus Nr. 110 in der Klatovská

Haus Nr. 140 in der Klatovská


Zwei identische, aneinandergebaute Häuser, die sich nur in der Farbe unterscheiden, am Náměstí Míru Nr. 2 und 3
 
Fassadendetails von den Häusern am Náměstí Míru


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