Dienstag, 30. Juni 2015

Noch einmal zu Adolf Loos


Der Brünner Architekt und seine Pilsner Auftraggeber

Sie waren seine Klienten, und so möchte ich heute etwas über sie und ihre Familien erzählen. Auch über ihr Schicksal, ihr meist tragisches Schicksal. Es waren wohlhabende jüdische Unternehmer in Pilsen, und in Adolf Loos hatten sie einen Innenarchitekten und Designer gefunden, der das Kapital der viel beschäftigten Männer zur Freude der verwöhnten, gelangweilten Frauen in Wohnungsinterieurs umzusetzen verstand. In Inneneinrichtungen, die noch heute, nach fast hundert Jahren, unglaublich schön, elegant und zeitlos wirken und jedem Designer auf der Suche nach Stil und Funktionalität als Vorbild dienen sollten.

Adolf-Loos-Porträt in der Wohnung in der Bendova Nr. 10 in Pilsen

Tragische Geschicke also unter Adolf Loos’ Auftraggebern. Geschicke, die nach Theresienstadt und Auschwitz führen. Und nach Olmütz, wo Edita Hirschová im September 1942 in den Zug AAo nach Theresienstadt und von dort in den Zug Cu nach Auschwitz gesetzt wurde. Wo sie starb. Nein, Edita Hirschová/Edith Hirsch gehörte nicht zum Kundenkreis von Adolf Loos. Sie war eine 1908 geborene, junge tschechische Malerin, die sich in Paris eine vielversprechende Karriere aufzubauen begonnen hatte, als sie zur Todesfahrt verhaftet wurde. Im Haus der mit ihr verwandten Familie Brummel in der Husova in Pilsen befindet sich ein Gemälde von ihr. Und der Guide wird es nicht müde, von ihr zu erzählen.

Die tschechisch-jüdische Malerin Edita Hirschová (1908–1942)

Ein Gemälde von Edita Hirschová im Brummel-Haus in der Husova Nr. 58

Dieses vom österreichischen Maler Robert Aigner (1901–1966) geschaffene Fresko einer südländischen Landschaft sollte Bewohner und Besucher der Wohnung in der Husova Nr. 58 vom Blick auf die hässlichen Industriebauten ringsum ablenken.

Er erzählt auch von der Familie Liebstein, die das Haus Husova Nr. 58 erworben hatte, vom Zusammenleben der Witwe Hedvika/Hedwig Liebstein mit Jana und Jan Brummel, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Hedvika Liebstein kam 1943 in einem Konzentrationslager ums Leben, Jan und Jana überstanden Theresienstadt und Auschwitz und Bergen-Belsen und kehrten nach dem Krieg wieder in ihre tschechoslowakische Heimat zurück.

Grabstein für Hedvika Liebsteinová und ihren Mann Wilhelm Liebstein auf dem jüdischen Friedhof in Pilsen


Wohnung im Brummel-Haus in der Husova Nr. 58


Farbliche Harmonie bis ins kleinste Detail

Eine der schönsten Loos’schen Inneneinrichtungen, die Pilsen zu bieten hat, ist die Wohnung in der Bendova Nr. 10. Vilém Kraus und seine Frau Gertrud, eine Tochter des Chemiefabrikanten Taussig, waren die Besitzer. Vilém (oder Willy oder Wilhelm) gelang es im Jahr 1939 rechtzeitig, sich nach England abzusetzen. Seine Frau und seine zwei Kinder schafften es nicht, ihm nachzureisen. Sie wurden am 18. Januar 1942 nach Theresienstadt transportiert, dann weiter ins Ghetto Zamość in Ostpolen. Wahrscheinlich wurden sie dann in einem Vernichtungslager in Polen – Belżec oder Sobibor – ermordet.

Interieur in der Bendova Nr. 10 mit der Loos'schen Handschrift: edelste Materialien und glänzende Spiegel




Raffiniert ausgeklügelte Durchblicke

Loos’ Lieblingsfarben: Rot, Blau und Grün – hier (oben und unten) in der Wohnung Bendova Nr. 10






Zur organisierten Loos-Tour in Pilsen gehört auch die Wohnung in der Klatovská třída Nr. 12, die gegen Ende der zwanziger Jahre von Josef Vogl und seiner Frau Štěpánka den Bedürfnissen einer Arztpraxis plus Wohnung angepasst wurde. Zuvor hatten hier der Drahtgitterfabrikant Otto Beck und seine Frau Olga gelebt, hier waren auch die Kinder geboren: 1903 Eva, 1904 Klara und 1910 Max-Klaus.

 
Wohnung in der Klatovská třída Nr. 12

Adolf Loos’ Schwiegermutter Olga Beck, die Frau von Otto Beck, einem seiner ersten Bewunderer in Pilsen, kam 1942 in einem KZ ums Leben. Und ihre Tochter Klara/Claire Beck, Adolf Loos’ dritte Frau, die vom September 1941 an den Judenstern tragen musste, starb zu einem unbestimmten Datum im Ghetto oder KZ in Riga. Loos hatte diese Tragödien nicht mehr erlebt. Er war schon im Jahr 1933, wenige Monate nach der Scheidung von Claire/Klara Beck, in einem Sanatorium bei Wien gestorben. 

Klara/Claire Beck, Adolf Loos’ dritte Frau (1904–1942?)

Olga Beck, Klaras Mutter (1879–1942)



Der Grabstein für Otto Beck, Klaras Vater, und Eva Schanzer, Klaras Schwester, auf dem jüdischen Friedhof in Pilsen


Kein Adolf-Loos-Interieur in Pilsen ohne ein tristes Umfeld. Was einen Besuch dieser Wohnungen über das ästhetische Erlebnis hinaus zu einer großen, unvergesslichen Emotion macht. Und Adolf Loos’ Probleme mit der Justiz – gerade in seiner Pilsner Zeit Ende der zwanziger Jahre kam er wegen Unzucht vor Gericht – lässt man für die Dauer der Besichtigung am besten vor der Haustür (der sowieso äußerlich wenig attraktiven Häuser, die ich schon in einem vorausgegangenen Post vom 4. Juni – „Adolf-Loos-Interieurs einmal anders. Pilsner Loos-Wohnungen von außen“ – gezeigt hatte).

Mit Claire/Klara Beck und ihren Eltern Otto und Olga Beck habe ich mich jetzt einem Thema genähert, das ich – nach eingehenden Recherchen vor Ort – nach meinem Pilsen-Aufenthalt (muss er wirklich aufhören?) ausarbeiten will. Vielleicht wird eine Biografie über Klara/Claire Beck/Becková daraus?

Mein Hund Zampa studiert inzwischen die Apps zur Besichtigung der Loos-Interieurs ...



… und im nahen Intellektuellentreff „Inkognito“ scheint man von den Loos’schen Farbkombinationen gelernt zu haben.


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