Samstag, 11. Juli 2015

Am Fuß des Böhmerwaldes


Ein fröhlicher Friedhof

Ein schöner Friedhof. Gekreuzigte, die massenweise und wie Hilfe suchend die Arme gegen den Himmel strecken. Das war mein Eindruck, als ich heute – auf dem Rückweg von Dobrá Voda bei Hartmanice mit dem einzigartigen Glasaltar in der Guntherskirche – 


Die Kreuzigungsgruppe ...

... Heiligenfiguren ...

... und die Verkündigungsszene des einzigartigen Glasaltars, den die tschechische Glaskünstlerin Vladěna Tesařová im Jahr 2001 für die Guntherskirche in Dobrá Voda fertiggestellt hat.


das Dörfchen Javorná na Šumavě besuchte. Eigentlich wollte ich nur den Spuren meines Priesteronkels Adolf Rudy nachgehen. Adolphus Rudy heißt er in dem Archivdokument, das mir Václav Kubeš, Vizekanzler und Archivar des Bistums Budweis, freundlicherweise gescannt und per E-Mail zugesandt hatte. Das die folgende Aufzeichnung enthielt: „Seewiesen, administrator interc. 1. maji – 30. novembr. 1926“. Als 32-jähriger Geistlicher hatte mein Onkel also einige Monate in Seewiesen gedient. Hier in Javorná na Šumavě südlich von Klatovy, am Fuß des Böhmerwaldes.

Im Dorf werden etliche Häuser renoviert, die teilweise mit Holzschindeln verkleidete, barocke Annakirche ist in gutem Zustand. Dann die Überraschung, als ich den Friedhof betrete. Einige strenge Marmorgrabsteine mit tschechischen Namen. Sonst aber über das ganze Kirchhofsgelände verstreute eiserne Grabkreuze. Christus am Kreuz. Dutzendfach vervielfacht. Eine frappierende Wirkung. 

Der vervielfältigte Gekreuzigte auf dem Friedhof in Javorná na Šumavě

Was den bizarren Eindruck noch verstärkt und den Kreuzen ihre Memento-mori-Mahnung nimmt, ist die Tatsache, dass die Namen an den meisten Grabmälern fehlen. Sicher waren es deutsche Namen gewesen, Namen der einst deutschsprachigen Bewohner von Seewiesen, die sich an den Kreuzen befunden hatten, dann aber der Zeit oder dem Nicht-erinnern-Wollen der jetzt tschechischen Einheimischen zum Opfer gefallen sind.




Vor lauter Verblüffung über dieses Christus-am-Kreuz-Wäldchen habe ich vergessen, die Grabkreuze zu zählen: Sicher sind es an die vierzig, fünfzig, meine ich. Auf einem winzigen Friedhof in einem winzigen Dorf. Sie müssen in Serienproduktion angefertigt worden sein, mit unterschiedlicher Bemalung wohl nach den Wünschen der Auftraggeber. So sinnlos diese namenlosen Kreuze auf ungepflegten, verwahrlosten, teils nicht mehr erkennbaren Gräbern heute auch sein mögen – sie machen doch deutlich, dass nicht alles „Deutsche“ von den hier lebenden Tschechen ausgemerzt worden ist. Was Herz und Seele erfreut. Wie der multiplizierte Gekreuzigte. Über den man lächeln möchte, wenn man das auf einem Friedhof im Angesicht von Toten darf. Ich habe es getan, im Schutz des vor das Gesicht gehaltenen Fotoapparates. Eine Frau auf dem Friedhof hat es sicher nicht bemerkt. Christus schon. Aber er, der Tolerante, hat keinen Anstoß daran genommen.

Die holzverkleidete Fassade der Annakirche in Javorná na Šumavě



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