Geschichten aus Mirošov
Es war einmal … So beginnen viele Erzählungen um Schlösser und
Schlossherren. Und die meisten haben ein Happy End. Auch die Geschichte, die
ich heute erzählen will, nimmt eigentlich ein gutes Ende. Aber um welchen
Preis! Nach wie vielen Sorgen und Leiden, Verhängnissen und Tragödien.
Begonnen hatte es recht geruhsam und beschaulich. Eben wie die Historien um
kleine Provinzstädte beginnen. Wie um Mirošov, in einer lieblichen
Hügellandschaft an die 20 Kilometer östlich von Pilsen, mit einer hübschen, statuenumstandenen Barockkirche.
Die Josefskirche am Hauptplatz von Mirošov |
Florian Griespek von Griespach, aus uraltem niederbayerischem Adelsgeschlecht
stammender, hoher Beamter am Hof des böhmischen Königs und späteren Kaisers
Ferdinand I., ließ sich hier in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein
hübsches Renaissanceschloss errichten. Das Kastell wechselte mehrmals den
Besitzer, Adelige aus der Umgebung tauschten es sich aus. Bis um 1840 reiche
Steinkohlenlager entdeckt und abgebaut wurden.
Das von einem Park umgebene Schloss Mirošov aus einer ungewöhnlichen Perspektive |
Miröschau machte auf sich aufmerksam. Bankiers und andere Betuchte begannen
sich für das Städtchen und seine einträglichen Gruben zu interessieren. Unter
ihnen war auch der jüdischstämmige Unternehmer Bethel Henry Strousberg, der als
Baruch Hirsch zur Welt gekommen war und als „Eisenbahnkönig“ des 19.
Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen ist. Er konnte gleich zwei Schlösser
im Raum Pilsen erwerben – außer Mirošov auch das nahe Schloss Zbiroh (von dem
ich schon einmal berichtet habe: Dort lebte 18 Jahre lang der tschechische Maler
und Grafiker Alfons Mucha.). Doch das Schlossherrnleben konnte er nicht lange
genießen: Zu gewagte Investitionen und unaufrichtige Berater richteten ihn
zugrunde und brachten ihn um seinen gesamten Besitz.
Das hübsche Renaissanceschlösschen bekam in den folgenden Jahrzehnten neue
Besitzer: den Juden Josef Maendl, der zur Protektoratszeit rechtzeitig das Land
verließ, und den tschechischen Minister Ladislav Karel Feierabend. Der als
Angehöriger der antideutschen Widerstandsbewegung 1940 ebenfalls das Land
verlassen musste. Nach seiner Rückkehr
aus dem Londoner Exil bei Kriegsende zog er wieder ins Schloss Mirošov. Für
kurze Zeit. 1948 musste er mit seiner Frau Hana (sie hatte das KZ Ravensbrück
überlebt) und seinen zwei Kindern erneut ins Ausland flüchten, diesmal vor den
Kommunisten.
Nach der „Wende“ wurde Schloss Mirošov der Familie Feierabend restituiert:
nach dem Tod des Vaters seinen Kindern Hana und Ivo. Die es seit Jahren mit
Liebe und Sorgfalt restaurieren.
Zwei Atlanten am Portal von Schloss Mirošov |
Dies die Geschichte mit Happy End. Doch vor diesem glücklichen Ende erlebte Mirošov auch ein
tragisches, verhängnisvolles Kapitel: Kurz nach Kriegsende wurden versprengte
waffenlose deutsche Soldaten, auch Angehörige der SS, die sich den Amerikanern
anzuschließen suchten, in Mirošov abgefangen, gedemütigt, gefoltert, ermordet
und in ein Massengrab im Schlosspark geworfen. Anscheinend zu Hunderten. Selbsternannter Anführer der
gewalttätigen Partisanenbande, die die Taten verübte, war František Foukal. Ich hätte ein Foto dieses
Mörders gefunden, möchte es aber – nachdem ich Bilder von Wohltätern wie
Nicholas Winton und Přemysl Pitter veröffentlicht habe, die Hunderte von
jüdischen wie nicht-jüdischen deutschen und tschechischen Kindern gerettet
haben – nicht zeigen.
War das Massengrab im gepflegten Teil des Schlossparks ... |
... oder im vernachlässigten? |
Mit Schloss Mirošov ziehen Bruchstücke böhmisch-tschechischer Geschichte
an uns vorbei: von König/Kaiser Ferdinand I. bis zu der in jüngster Zeit erfolgten Restitution der nach dem
Krieg beschlagnahmten und verstaatlichten Kulturgüter an ihre früheren Besitzer. Dieser Teil der Geschichte ohne Happy End aber macht mir diese
Adelsresidenz – bei aller Renaissanceschönheit und trotz der Hochzeiten, die
jetzt hier gefeiert werden – doch unheilvoll und düster.
Auf dem Kamin der ehemaligen Brauerei in Mirošov nistet ein (auf dem Foto nicht erkennbares) Storchenpaar. |
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