Dienstag, 21. Juli 2015

Kein Schlossmärchen


Geschichten aus Mirošov

Es war einmal … So beginnen viele Erzählungen um Schlösser und Schlossherren. Und die meisten haben ein Happy End. Auch die Geschichte, die ich heute erzählen will, nimmt eigentlich ein gutes Ende. Aber um welchen Preis! Nach wie vielen Sorgen und Leiden, Verhängnissen und Tragödien.

Begonnen hatte es recht geruhsam und beschaulich. Eben wie die Historien um kleine Provinzstädte beginnen. Wie um Mirošov, in einer lieblichen Hügellandschaft an die 20 Kilometer östlich von Pilsen, mit einer hübschen, statuenumstandenen Barockkirche.

Die Josefskirche am Hauptplatz von Mirošov

Florian Griespek von Griespach, aus uraltem niederbayerischem Adelsgeschlecht stammender, hoher Beamter am Hof des böhmischen Königs und späteren Kaisers Ferdinand I., ließ sich hier in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein hübsches Renaissanceschloss errichten. Das Kastell wechselte mehrmals den Besitzer, Adelige aus der Umgebung tauschten es sich aus. Bis um 1840 reiche Steinkohlenlager entdeckt und abgebaut wurden. 

Das von einem Park umgebene Schloss Mirošov aus einer ungewöhnlichen Perspektive

Miröschau machte auf sich aufmerksam. Bankiers und andere Betuchte begannen sich für das Städtchen und seine einträglichen Gruben zu interessieren. Unter ihnen war auch der jüdischstämmige Unternehmer Bethel Henry Strousberg, der als Baruch Hirsch zur Welt gekommen war und als „Eisenbahnkönig“ des 19. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen ist. Er konnte gleich zwei Schlösser im Raum Pilsen erwerben – außer Mirošov auch das nahe Schloss Zbiroh (von dem ich schon einmal berichtet habe: Dort lebte 18 Jahre lang der tschechische Maler und Grafiker Alfons Mucha.). Doch das Schlossherrnleben konnte er nicht lange genießen: Zu gewagte Investitionen und unaufrichtige Berater richteten ihn zugrunde und brachten ihn um seinen gesamten Besitz.

Das hübsche Renaissanceschlösschen bekam in den folgenden Jahrzehnten neue Besitzer: den Juden Josef Maendl, der zur Protektoratszeit rechtzeitig das Land verließ, und den tschechischen Minister Ladislav Karel Feierabend. Der als Angehöriger der antideutschen Widerstandsbewegung 1940 ebenfalls das Land verlassen  musste. Nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil bei Kriegsende zog er wieder ins Schloss Mirošov. Für kurze Zeit. 1948 musste er mit seiner Frau Hana (sie hatte das KZ Ravensbrück überlebt) und seinen zwei Kindern erneut ins Ausland flüchten, diesmal vor den Kommunisten.

Nach der „Wende“ wurde Schloss Mirošov der Familie Feierabend restituiert: nach dem Tod des Vaters seinen Kindern Hana und Ivo. Die es seit Jahren mit Liebe und Sorgfalt restaurieren.

Zwei Atlanten am Portal von Schloss Mirošov
 
Dies die Geschichte mit Happy End. Doch vor diesem glücklichen Ende erlebte Mirošov auch ein tragisches, verhängnisvolles Kapitel: Kurz nach Kriegsende wurden versprengte waffenlose deutsche Soldaten, auch Angehörige der SS, die sich den Amerikanern anzuschließen suchten, in Mirošov abgefangen, gedemütigt, gefoltert, ermordet und in ein Massengrab im Schlosspark geworfen. Anscheinend zu Hunderten. Selbsternannter Anführer der gewalttätigen Partisanenbande, die die Taten verübte, war František Foukal. Ich hätte ein Foto dieses Mörders gefunden, möchte es aber – nachdem ich Bilder von Wohltätern wie Nicholas Winton und Přemysl Pitter veröffentlicht habe, die Hunderte von jüdischen wie nicht-jüdischen deutschen und tschechischen Kindern gerettet haben – nicht zeigen.

War das Massengrab im gepflegten Teil des Schlossparks ...
... oder im vernachlässigten?

Mit Schloss Mirošov ziehen Bruchstücke böhmisch-tschechischer Geschichte an uns vorbei: von König/Kaiser Ferdinand I. bis zu der in jüngster Zeit erfolgten Restitution der nach dem Krieg beschlagnahmten und verstaatlichten Kulturgüter an ihre früheren Besitzer.  Dieser Teil der Geschichte ohne Happy End aber macht mir diese Adelsresidenz – bei aller Renaissanceschönheit und trotz der Hochzeiten, die jetzt hier gefeiert werden – doch unheilvoll und düster.


Auf dem Kamin der ehemaligen Brauerei in Mirošov nistet ein (auf dem Foto nicht erkennbares) Storchenpaar.



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