Samstag, 25. Juli 2015

Ein Tag – viele Begegnungen


Blick auf den Hochaltar der Wallfahrtskirche zur hl. Anna bei Planá
  
Das Annenfest in Planá

Es hatte sehr feierlich begonnen. Mit einer deutsch-tschechischen Prozession – Bewohner aus dem bayerischen Mähring hatten sich unterhalb der Kirche mit Bewohnern aus dem böhmischen Planá getroffen – und einem gemeinsamen Gottesdienst in der Barockkirche zur heiligen Anna bei Planá, einem Städtchen südlich von Marienbad.

Emporen in der barocken Kirche zur hl. Anna

Zum 26. Mal fand diese Wallfahrt in diesem Jahr statt. Denn wenige Monate nach der „Wende“ hatten Deutsche und Tschechen hier erstmals zu gemeinsamem Beten und Singem zusammengefunden. Der diesjährige Gottesdienstes, in dem viel von Asylbewerbern und deren Aufnahme die Rede war, wurde von Monsignor Reinhard Hauke aus Erfurt zelebriert, dem Beauftragten für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge in Deutschland.
Reinhard Hauke, der Bischof für die Vertriebenen

Ein „Bischof für die Vertriebenen“? „Ja“, antwortet Monsignor Hauke auf meine Frage. „Man muss die Erinnerung an die Vertreibung auch bei der nachwachsenden Generation wachhalten, damit dieses Kapitel der Geschichte nicht in Vergessenheit gerät“. Als Kind einer aus Schlesien vertriebenen Familie liegt ihm das Thema sehr nahe, und er beurteilt es als sehr positiv, was auch ich schon mehrmals unterstrichen habe: Dass sich auch in Tschechien junge Leute mit dem Thema der Vertreibung objektiv und ohne Scheuklappen auseinandersetzen. Die positiven Auswirkungen der Vertreibung? Hatte ich da bei der Predigt richtig gehört? Zur Sicherheit hake ich noch einmal nach: Ja, Bischof Hauke ist überzeugt, dass die Vertriebenen den Städten und Dörfern, in denen sie aufgenommen wurden, Aufschwung gegeben haben und dass junge Aussiedler sich in ihrer neuen Heimat Lebenswege und Karrieren aufgebaut haben, die ihnen in der alten Heimat vielleicht verschlossen gewesen wären.

Doris Thomas
Nach der Stärkung der Seele in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche dann auch etwas zur Stärkung des Leibes. Beim Anstehen zu Bier und klobasa, einer deftigen tschechischen Bratwurst, komme ich mit einer Nachbarin ins Gespräch: Bei der Ausweisung aus Planá – sie war damals ein Jahr alt und das jüngste von vier Kindern – habe das ehemalige Kloster unterhalb der Kirche hier für sie das letzte Obdach auf heimatlich-böhmischem Boden dargestellt. Aber die Tschechen hätten der vaterlosen Familie geholfen, so viel sie nur konnten. Seit Jahren besucht sie – die ehemalige Gymnasiallehrerin Doris Thomas – sommerliche Tschechischkurse in Nordböhmen, kommt aus Bayerisch Eisenstein regelmäßig auf Wallfahrt zur heiligen Anna und ist um deutsch-tschechisches Verständnis und den Abbau von Vorurteilen bemüht. Auf beiden Seiten.

Dann bellen ein großer Schäferhund und mein kleiner Hund sich lautstark an. Aber auch das gegenseitige Anknurren von Hunden kann Kontakte zwischen den padroni schaffen. Ich schaffe Zampa weg und kehre zur Hundebesitzerin zurück: Es ist Klára Salzmann, eine tschechische Landschaftsarchitektin, die ich vor zwei Tagen in Výškovice erlebt hatte, gewissermaßen als Hausherrin einer Veranstaltung im Rahmen der Initiativen der diesjährigen Kulturhauptstadt.

Die tschechische Landschaftsarchitektin Klára Salzmann
Für mich war es eine Rückkehr nach Výškovice, das ich gleich zu Beginn meines Pilsen-Aufenthaltes besucht hatte: damals verängstigt von der Einsamkeit des fast verschwundenen Dorfes Wischkowitz, von den menschenleeren, kurvenreichen, lädierten tschechischen Straßen, die in abgelegenen Gegenden mehr asphaltierten Waldwegen gleichen als modernen Verkehrsstraßen, beeindruckt von der Verlassenheit des Ortes. Inzwischen hat Klára Salzmann in Pilsen eine Tagung zur „Wiederbelebung der deutsch-tschechischen Grenzlandschaft“ organisiert und eine instruktive dreisprachige Publikation herausgegeben. Nach Výškovice/Wischkowitz, in das einst blühende, aber 1945 ausgesiedelte und 1974 amtlich aufgelöste Dorf, kommen jetzt Besucher aus ganz Europa. Und heute steht hier – als Land-Art-Installation auf dem Geländes eines ehemaligen Bauernhofes – ein kräftiger Holztisch: zu Gottesdiensten, zu Gesprächen, zu Brotzeiten (warum nicht?). Zu gemeinsamem Zusammensein in der Erinnerung an die ehemaligen Bewohner. Wer weiß – vielleicht einmal auch mit einem der hier Geborenen.

Geselliges Beisammensein in Výškovice/Wischkowitz
Kulturell-musikalischer Höhepunkt dieses erlebnisreichen Tages war, in Anwesenheit des tschechischen Ministers für Kultur, Daniel Herman (der einige ehemalige Böhmendeutsche auf Deutsch „in ihrer Heimat“ begrüßte), ein Konzert der Cembalistin und Organistin Alena Hönigová. Sie kann – trotz ihres jungen Alters von nur 39 Jahren – schon auf eine lange Karriere und internationale Mitwirkungen zurückblicken. Und auf das musikalische Sommerfestival, das sie vor vier Jahren auf dem nordböhmischen Schloss Jezeří ins Leben gerufen hat und von dem sie mit charmanter, unwiderstehlicher Begeisterung erzählt.

Die Musikerin Alena Hönigová


Genug für einen einzigen Tag? Nein, als Abschluss gab es dann noch ein sprühendes barockes Feuerwerk, das von den Anwesenden mit vielen Ahs und Ohs aufgenommen wurde.



Zwischendurch war ich – zur Abwechslung für meinen Hund Zampa – noch etwas über Land gefahren und hatte spontane bäuerliche Land-Art bewundert.




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