Pilsen ruht sich nicht aus
In Pilsen gärt es immer. Das ist natürlich keine Neuigkeit in einer Stadt,
die in aller Welt als Biermetropole bekannt ist. Aber auch in der Pilsner
Kulturszene gärt es. Was man seit der Eröffnung des Kulturhauptstadt-Jahres
bemerken kann. Besonders erfreulich ist aber die Tatsache, dass die
westböhmische Stadt sich nicht auf den Lorbeeren ausruht, die sie sich seit
Jahresbeginn mit reichen, interessanten Veranstaltungen zu Kunst, Theater,
Musik und Literatur rechtschaffen verdient hat, sondern dass sie – obwohl die
zweite Halbzeit schon angepfiffen worden und im Gange ist – immer noch neue
Projekte auf den Plan bringt.
Zum Beispiel die Adolf-Loos-Interieurs. Ich habe in meinen Texten schon
zweimal davon erzählt: einmal etwas ablehnend der Person und dem Privatleben von
Loos gegenüber, das andere Mal voller Begeisterung und Hochachtung vor der
Leistung dieses böhmisch-österreichischen Architekten und Designers, aber auch
voller Trauer über das Geschick seiner jüdischen Auftraggeber.
Auf Adolf Loos aber komme ich hier noch einmal zurück. Das Westböhmische
Museum lässt derzeit eine Wohnung restaurieren, die sich über zwei Etagen einer
Villa in der Klatovská třída Nr. 110 hinzieht. Das äußerlich (noch) unauffällige
Haus – wie alle Bauten mit Adolf-Loos-Interieurs – war in den zwanziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts für leitende Angestellte der Ṧkoda-Werke
erbaut, dann aber 1932 von Oskar und Jana Semler gekauft worden (eine jüdische
Unternehmerfamilie, die dem Holocaust rechtzeitig durch Emigration entging).
Und sie beauftragten Adolf Loos mit dem Entwurf der Inneneinrichtung, die aber
wohl überwiegend von dessen Mitarbeiter Heinrich Kulka ausgeführt wurde (Loos
starb 1933).
Die künftige Pilsner Sehenswürdigkeit (geplant ist auch die Einrichtung
eines Dokumentationszentrums zur Pilsner Architektur vom 19. bis zum 21.
Jahrhundert) ist heute noch eine
Baustelle. Doch gerade durch das Provisorische und Noch-nicht-wieder-Fertige,
durch den stellenweise abgekratzten Lack der originalen Möbel, die von alltäglichem
Gebrauch zeugen, durch die in Loos’ Lieblingsfarben Rot und Gelb lackierten,
aber noch nicht angeschlossenen Heizkörper, durch die noch nicht gereinigten
Schubladengriffe und die teilweise noch auszubessernden Schränke und Kredenzen,
Fußböden und Wandverkleidungen vermittelt sie stärkere Emotionen, als sie dann
die geschniegelten und gestriegelten Wohnungseinrichtungen geben. Im Oktober
sollen die weiten Räume öffentlich zugänglich sein. Bei dem, was Pilsen in
diesem Jahr an Effizienz gezeigt hat, glaube ich das ohne Vorbehalte.
Außenansicht der Semler-Villa in der Klatovská třída Nr. 110 |
Jan Brčák führt uns durch die von Adolf Loos entworfene Wohnung |
Adolf Loos liebte farbige Heizkörper ... |
... edle Materialien und klare Linien. |
Originale Warmwasserrohre in einem der Badezimmer |
Wunderschöne Glasgriffe an einer alten, leicht abgenutzten Kredenz |
Und hier noch ein Porträt meiner treuen Begleiterin Tereza Svášková |
Dann „Moving Station“, der ehemalige Südbahnhof „Plzeň Jižní předměstí“
(eigentlich: Pilsen Südvorstadt) als Kulturfabrik. Er war seit seinem Entstehen
in den Jahren 1903/1904 eine Haltestelle an den Bahnstrecken Wien–Eger/Cheb und
Prag/Praha–Furth im Wald, auf denen zur Zeit der Donaumonarchie viele
Züge verkehrten.
Doch mit der Zeit verwahrloste der Bahnhof wie auch sein gleich nach Ende des
Ersten Weltkriegs angelegtes Pendant, fand aber vor einigen Jahren das
Interesse des Kulturvereins „Centrum Johan“. So wurde es wieder lebendig um das Gebäude, das zu experimentellen, alternativen Theater- und Tanzveranstaltungen
genutzt wurde. Und jetzt wird es renoviert, mit großem Aufwand an Geld und
moderner Technik.
Petr Beránek, der technische Leiter des neuen Projekts, hatte mir in dem
von mir so gern besuchten Bistro Inkognito – wo ich ihn aus einem ganz anderen
Grund angesprochen hatte – eine Werbebroschüre in die Hand gedrückt: „SPLNĚNÝ
SEN – Moving Station se proměňuje“ (Ein Traum verwirklicht sich – Moving
Station verwandelt sich). Ich fand das Unternehmen hochinteressant, und vor
einigen Tagen durfte ich auch hier auf die Baustelle: provisorische Bretterpassagen,
wacklige Stufen, Plastikplanen überall, Geruch nach Staub und Zement und Farbe.
Vieles ist fertig, die zentrale, zweigeschossige Dvorana beeindruckt schon jetzt mit ihren modernen
Stahl-Beton-Strukturen. Es herrschte Hochbetrieb, denn die offizielle Eröffnung
dieser neuen, faszinierenden Bühne für Theater und Tanz, Tagungen und
Ausstellungen ist für den 12. September angesetzt. „Grand opening“ – wie Petr
Beránek mir heute mailte. Aber auch das wird Pilsen schaffen.
Petr Beránek, der technische Leiter von „Moving Station“ |
Hier nachfolgend mehrere Ansichten von den Restaurierungsarbeiten im ehemaligen Südvorstadt-Bahnhof in Pilsen, bei denen Tradition und Moderne in besten Einklang gebracht werden:
Meinen Hund Zampa scheinen die schicken roten Hosen von Petr Beránek mehr zu interessieren als die superteuren handgearbeiteten Fliesen, mit denen die Räume gepflastert werden. |
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