Lukáš Houdek und seine Kreationen
Jung, aber schon weltberühmt: der tschechische Fotograf Lukáš Houdek |
Schimpf und Schande über ihn! Wie konnte er, ein nicht einmal
dreißigjähriger tschechischer Grünschnabel, es wagen, seinen Landsleuten die
Untaten vor Augen zu halten, die während der Vertreibung der Deutschen nach
dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden? Mit welcher Courage sie vor der Welt
schlecht machen? Öffentlich zeigen, was sie selbst lange verschwiegen und als
Tabu verborgen gehalten hatten: dass im
Sommer 1945 (und dies sind nur einige Beispiele) in Mirošov u Rokycan mehrere
Dutzend Kriegsgefangene getötet und in ein Massengrab im Schlosspark geworfen
worden waren, dass im Juni 1945 in Domažlice an die 120 Böhmendeutsche
summarisch hingerichtet und in einer
Müllkippe begraben worden waren, dass es im Juni 1945 in Žatec zu
Massenvergewaltigungen von deutschen Frauen und Kindern gekommen war?
Der so Geschmähte ist Lukáš Houdek, ein im Jahr 1984 in Stříbro geborener
tschechischer Fotograf. Und diese Beschimpfungen gingen durch die Presse, als
er im Jahr 2012 sein erstes „Vertreibungsprojekt“ präsentierte: „Umění zabíjet“
(Die Kunst des Tötens), gefolgt von „Umění dosídlit“ (Die Kunst des
Besiedelns), „Odložené životy“ (Vergessene Leben) und „Musís zapomenout na
Johanna“ (Du musst Johann vergessen).
Eine Szene aus der Bilderfolge „Die Kunst des Tötens“ |
Eine Szene aus der Bilderfolge „Die Kunst des Besiedelns“ |
Drei Szenen aus der Bilderfolge „Du musst Johann vergessen“ |
Nach gründlichen Archivrecherchen und dem Anhören von Zeitzeugen macht
Lukáš Houdek sich an die Arbeit, fotografiert (oft mit Barbiepuppen) nachgestellte
Szenen und mit echten sudetendeutschen Trachten angetane Strohpuppen, macht Aufnahmen
von Totenporträts auf verfallenen, ehemals deutschen Friedhöfen im heutigen Tschechien und geht der Geschichte der
Verstorbenen nach. Immer mit Schwarzweißaufnahmen, die das Irreal-Beklemmende noch beunruhigender machen.
Die Installation „Vergessene Leben“ im oberpfälzischen Kloster Speinshart |
Wie er in Tschechien (aber nicht von allen seinen Landsleuten) moniert
wurde, so wurde er gleich bei seinem ersten „Vertreibungs-Auftritt“ im Ausland
bekomplimentiert. In Deutschland, aber auch in Italien wurden ihm Ausstellungen
organisiert, die großen Widerhall fanden: Er war eben einer aus der jungen
Generation der Tschechen, der die Augen vor Geschehenem – auf der einen wie auf
der anderen Seite – nicht verschloss und wissen, erfahren, verstehen wollte.
Und jetzt reißen sich auch die tschechischen Städte um ihn.
Vom odsun („Abschub“), wie die Tschechen die
Zwangsaussiedlung der Böhmendeutschen bezeichnen, ist Lukáš Houdek bis heute
nicht losgekommen. Er plant ein neues, interaktives Fotoprojekt, bei dem er
wieder von alten Fotos ausgeht, die – wie Internet- und Facebook-Freaks heute –
miteinander bloggen. Auch die Ironie hat ihn niemals verlassen, eine beißende
Ironie, die zu Sarkasmus werden kann und doch von Feinfühligkeit getragen
wird. Denn Lukáš ist ein freundlicher, liebenswerter junger Mann. Und ein
großer Fotograf.
So dürfen wir auf andere Projekte gespannt sein, die ihn auch
einmal vom odsun und aus seiner
böhmischen Heimat wegführen. Lukáš weiß nach anfänglichen, originellen Ideen schon immer genau, in welche Richtung seine Arbeiten dann laufen. Denn sonst wäre er nicht er: kein rasender Reporter, sondern ein
Fotokünstler, der bedächtig und umsichtig vorgeht und immer wohl durchdachte
Projekte präsentiert. Fantasie ja, aber keine Improvisation.
Bei einem anderen Plan, von dem er mir bei unserer kürzlichen ersten
Begnung nach dreijährigem Mailen erzählte, bin ich mir nicht sicher, ob er es
ernst meinte oder nicht: eine organisierte Busreise von Neu-Miesern (Stříbro
hieß bis 1945 auf Deutsch Mies und in die von den vertriebenen Böhmendeutschen verlassenen
Häuser sind in den fünfziger Jahren tschechische Neusiedler nachgezogen) nach Deutschland zu
Alt-Miesern. Um sich ihre Häuser anzuschauen – wie die einstigen Bewohner von
Stříbro immer wieder nach Böhmen kommen, um einen Blick in ihre ehemaligen
Wohnungen zu werfen.
Ich kann Lukáš Houdek und seinen Absichten aufrichtig folgen, bewundere
sein fotografisches Können und seine Sensibilität, mit der er auch heikle
Sujets aufgreift: Vor den Vertriebenen hatte er in seinen Arbeiten Roma, Gays
und Transgender thematisiert. Aber in einem stimme ich nicht mit ihm überein: Ich
mag Dillsoße. Er nicht.
Meine Schutzengel
Heute: Tereza Svášková
Es geht ihr wie mir: Sie liebt ihre Geburtsstadt, obwohl sie keine
Erinnerungen an sie hat. Wie ich. In meinem Fall ist es Trutnov/Trautenau, sie
ist 1989 in Liberec (ehemals zu Deutsch Reichenberg) geboren. Ich war fünf, als ich aus
meiner Heimat weg musste. Sie zog im Alter von erst einem Jahr mit ihren Eltern
nach Lázně Toušeň, einen Marktflecken bei Prag, wo
sie aufwuchs. Doch bald suchte sie Größeres, Weiteres. Zum Studium kam sie nach
Pilsen, besuchte die Abteilung für Mittelöstliche Studien an der Westböhmischen
Universität. Und lernte Arabisch. So gut, dass sie als Übersetzerin aus dem
Arabischen ins Tschechische tätig war, und mit solcher Begeisterung, dass sie
zur Leiterin des alljährlichen Festivals für arabische Kultur in Pilsen berufen
wurde. Mit nicht einmal 25 Jahren.
Tereza Svášková |
Tereza Svášková – denn von ihr ist hier die Rede – ist in diesem Jahr für
OPEN A.i.R. von Pilsen2015 verantwortlich: Sie betreut die Künstler und
Künstlerinnen – Tänzer, Maler, Bildhauer, Schriftsteller und deren weibliche Pendants
–, die in Pilsen auf Einladung der Kulturhauptstadt gastieren und logieren.
Auch mir hilft sie seit meiner Ankunft im April in allen Lebenslagen: bei
der Suche nach Terminen, Kontakten und Eintrittskarten, mit Ratschlägen und
Tipps zu den interessantesten Events.
Gewiss nicht leichte Aufgaben für eine
so junge Frau. Die sie mit unermüdlicher Beharrlichkeit und unglaublicher
Präzision meistert. Ich frage mich, ob und wann sie überhaupt zum Schlafen
kommt. Aber sie wirkt immer gelassen und ausgeglichen. Mit offenen Augen und
Ohren für Wünsche und Bedürfnisse der ihr Anvertrauten.
Tereza, viel Erfolg im Leben! Du hast es dir verdient, weil du kämpfst,
ohne kämpferisch zu wirken.
1 Kommentare:
werde ich auch bald so
etwas machen
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