Mittwoch, 8. Juli 2015

Ein tschechischer Fotograf macht von sich reden


Lukáš Houdek und seine Kreationen

Jung, aber schon weltberühmt: der tschechische Fotograf Lukáš Houdek

Schimpf und Schande über ihn! Wie konnte er, ein nicht einmal dreißigjähriger tschechischer Grünschnabel, es wagen, seinen Landsleuten die Untaten vor Augen zu halten, die während der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden? Mit welcher Courage sie vor der Welt schlecht machen? Öffentlich zeigen, was sie selbst lange verschwiegen und als Tabu verborgen gehalten hatten: dass im Sommer 1945 (und dies sind nur einige Beispiele) in Mirošov u Rokycan mehrere Dutzend Kriegsgefangene getötet und in ein Massengrab im Schlosspark geworfen worden waren, dass im Juni 1945 in Domažlice an die 120 Böhmendeutsche summarisch hingerichtet und in einer Müllkippe begraben worden waren, dass es im Juni 1945 in Žatec zu Massenvergewaltigungen von deutschen Frauen und Kindern gekommen war?

Der so Geschmähte ist Lukáš Houdek, ein im Jahr 1984 in Stříbro geborener tschechischer Fotograf. Und diese Beschimpfungen gingen durch die Presse, als er im Jahr 2012 sein erstes „Vertreibungsprojekt“ präsentierte: „Umění zabíjet“ (Die Kunst des Tötens), gefolgt von „Umění dosídlit“ (Die Kunst des Besiedelns), „Odložené životy“ (Vergessene Leben) und „Musís zapomenout na Johanna“ (Du musst Johann vergessen). 

Eine Szene aus der Bilderfolge „Die Kunst des Tötens“



Eine Szene aus der Bilderfolge „Die Kunst des Besiedelns“






Drei Szenen aus der Bilderfolge „Du musst Johann vergessen“


Nach gründlichen Archivrecherchen und dem Anhören von Zeitzeugen macht Lukáš Houdek sich an die Arbeit, fotografiert (oft mit Barbiepuppen) nachgestellte Szenen und mit echten sudetendeutschen Trachten angetane Strohpuppen, macht Aufnahmen von Totenporträts auf verfallenen, ehemals deutschen Friedhöfen im heutigen Tschechien und geht der Geschichte der Verstorbenen nach. Immer mit Schwarzweißaufnahmen, die das Irreal-Beklemmende noch beunruhigender machen.

Die Installation „Vergessene Leben“ im oberpfälzischen Kloster Speinshart

Wie er in Tschechien (aber nicht von allen seinen Landsleuten) moniert wurde, so wurde er gleich bei seinem ersten „Vertreibungs-Auftritt“ im Ausland bekomplimentiert. In Deutschland, aber auch in Italien wurden ihm Ausstellungen organisiert, die großen Widerhall fanden: Er war eben einer aus der jungen Generation der Tschechen, der die Augen vor Geschehenem – auf der einen wie auf der anderen Seite – nicht verschloss und wissen, erfahren, verstehen wollte. Und jetzt reißen sich auch die tschechischen Städte um ihn.

Vom odsun (Abschub), wie die Tschechen die Zwangsaussiedlung der Böhmendeutschen bezeichnen, ist Lukáš Houdek bis heute nicht losgekommen. Er plant ein neues, interaktives Fotoprojekt, bei dem er wieder von alten Fotos ausgeht, die – wie Internet- und Facebook-Freaks heute – miteinander bloggen. Auch die Ironie hat ihn niemals verlassen, eine beißende Ironie, die  zu Sarkasmus werden kann und doch von Feinfühligkeit getragen wird. Denn Lukáš ist ein freundlicher, liebenswerter junger Mann. Und ein großer Fotograf.

So dürfen wir auf andere Projekte gespannt sein, die ihn auch einmal vom odsun und aus seiner böhmischen Heimat wegführen. Lukáš weiß nach anfänglichen, originellen Ideen schon immer genau, in welche Richtung seine Arbeiten dann laufen. Denn sonst wäre er nicht er: kein rasender Reporter, sondern ein Fotokünstler, der bedächtig und umsichtig vorgeht und immer wohl durchdachte Projekte präsentiert. Fantasie ja, aber keine Improvisation.

Bei einem anderen Plan, von dem er mir bei unserer kürzlichen ersten Begnung nach dreijährigem Mailen erzählte, bin ich mir nicht sicher, ob er es ernst meinte oder nicht: eine organisierte Busreise von Neu-Miesern (Stříbro hieß bis 1945 auf Deutsch Mies und in die von den vertriebenen Böhmendeutschen verlassenen Häuser sind in den fünfziger Jahren tschechische Neusiedler nachgezogen) nach Deutschland zu Alt-Miesern. Um sich ihre Häuser anzuschauen – wie die einstigen Bewohner von Stříbro immer wieder nach Böhmen kommen, um einen Blick in ihre ehemaligen Wohnungen zu werfen.

Ich kann Lukáš Houdek und seinen Absichten aufrichtig folgen, bewundere sein fotografisches Können und seine Sensibilität, mit der er auch heikle Sujets aufgreift: Vor den Vertriebenen hatte er in seinen Arbeiten Roma, Gays und Transgender thematisiert. Aber in einem stimme ich nicht mit ihm überein: Ich mag Dillsoße. Er nicht.




 Meine Schutzengel



Heute: Tereza Svášková

Es geht ihr wie mir: Sie liebt ihre Geburtsstadt, obwohl sie keine Erinnerungen an sie hat. Wie ich. In meinem Fall ist es Trutnov/Trautenau, sie ist 1989 in Liberec (ehemals zu Deutsch Reichenberg) geboren. Ich war fünf, als ich aus meiner Heimat weg musste. Sie zog im Alter von erst einem Jahr mit ihren Eltern nach Lázně Toušeň, einen Marktflecken bei Prag, wo sie aufwuchs. Doch bald suchte sie Größeres, Weiteres. Zum Studium kam sie nach Pilsen, besuchte die Abteilung für Mittelöstliche Studien an der Westböhmischen Universität. Und lernte Arabisch. So gut, dass sie als Übersetzerin aus dem Arabischen ins Tschechische tätig war, und mit solcher Begeisterung, dass sie zur Leiterin des alljährlichen Festivals für arabische Kultur in Pilsen berufen wurde. Mit nicht einmal 25 Jahren.

Tereza Svášková
Tereza Svášková – denn von ihr ist hier die Rede – ist in diesem Jahr für OPEN A.i.R. von Pilsen2015 verantwortlich: Sie betreut die Künstler und Künstlerinnen – Tänzer, Maler, Bildhauer, Schriftsteller und deren weibliche Pendants –, die in Pilsen auf Einladung der Kulturhauptstadt gastieren und logieren.

Auch mir hilft sie seit meiner Ankunft im April in allen Lebenslagen: bei der Suche nach Terminen, Kontakten und Eintrittskarten, mit Ratschlägen und Tipps zu den interessantesten Events. 

Gewiss nicht leichte Aufgaben für eine so junge Frau. Die sie mit unermüdlicher Beharrlichkeit und unglaublicher Präzision meistert. Ich frage mich, ob und wann sie überhaupt zum Schlafen kommt. Aber sie wirkt immer gelassen und ausgeglichen. Mit offenen Augen und Ohren für Wünsche und Bedürfnisse der ihr Anvertrauten.

Tereza, viel Erfolg im Leben! Du hast es dir verdient, weil du kämpfst, ohne kämpferisch zu wirken.




1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

werde ich auch bald so
etwas machen

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