Von einem jüdischen Friedhof zum anderen
Vielleicht übertreibe ich es mit den Friedhöfen. Mit christlichen und
jüdischen. Aber wie ich gestern bemerkt habe, bin ich nicht die Einzige, die
gern Friedhöfe besucht. Beatrijs, die holländische Frau des tschechischen
Konzertgitarristen Jan Irving und Seele des eleganten Restaurants „La Boema“ in
Radnice, warf erst einmal einen Blick auf meine Schuhe. Da sie sie für fest
genug befand, schlug sie mir einen Ausflug nach Hřešihlavy vor. Eben zu einem
jüdischen Friedhof.
Kein Schild zeigt ihn an, und man muss eine kurze Wanderung in Kauf nehmen,
um ihn zu erreichen. In einem Wald. Kein düsterer Wald. Düster sind die Wälder
nicht in dieser Gegend im Umkreis von Pilsen. Dunkel und düster, und manchmal
unheimlich und gespenstisch, werden sie erst weiter im Süden, im Böhmerwald. Der
Friedhof ist nicht gepflegt, aber auch nicht eigentlich vernachlässigt.
Naturbelassen, könnte man sagen. Wie es die Juden mögen. Hier und da ein auf
den Grabsteinen hinterlassener „Anklopfstein“. Ein Zeichen, dass doch immer
wieder einmal jemand vorbeikommt und sich der Toten erinnert.
Seit dem 17. Jahrhundert hatte es in Hřešihlavy eine jüdische Gemeinde
gegeben, eine offensichtlich sehr lebendige Gemeinde, die bald so rasch anwuchs, dass die Juden im Jahr 1841 die Mehrheit
der Bevölkerung stellten: 51 Prozent.
Etwas mehr als fünfzig Grabsteine stehen noch auf dem Friedhof. 1826 wurden die
ersten Toten begraben, in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die
letzten. Pflanzenumhüllte, moosbewachsene, wacklige und wieder aufgerichtete Steine, die tausend Geschichten erzählen. Erosion und Vandalismus stellen heute eine Gefahr für die Gräber in
diesem Wald dar, der, wie gesagt, nicht eigentlich düster ist. Aber bei Nacht
möchte ich trotzdem nicht vorbeikommen.
Heute war ich ausgesprochen sonntagsfaul. Das darf man auch als Stadtschreiberin sein. Keine Termine, keine Meetings, auch keine Rendezvous. Also einfach über Land fahren, fast ziellos, ohne Zeitdruck und ohne das Nachher-Schreiben-Müssen. Aber auch dabei gibt es immer Neues zu entdecken.
In Nové Mitrovice im südlichen Pilsner Land läuten die Glocken gerade zum Sonntagsgottesdienst.
Die barocke Nepomuk-Kirche in Nové Mitrovice |
Der Pfarrer ist per Motorroller angereist. |
In Kasejovice, einem Städtchen einige Kilometer weiter südlich, weist ein Schild auf den židovský hřbitov hin: Könnte ich es ignorieren?
Uralte, inzwischen namenlose Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Kasejovice, der schon im 17. Jahrhundert gegründet wurde. |
Neben den Grabsteinen mit den für die Meisten unverständlichen hebräischen Schriftzeichen hier in Kasejovice einmal ein Grabstein mit einer deutschsprachigen Inschrift |
Und an den Farben der Landschaft erkenne ich, wie viel Zeit schon seit meiner Ankunft in Pilsen vergangen ist.
Das leuchtende Gelb der Rapsfelder im Frühjahr ist dem sanften, blonden Goldgelb der sommerlichen Kornfelder gewichen. |
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