Verknüpfungen zwischen Hans Eibauer und Vladimír Líbal
„Oh ja, da bin ich schon stolz drauf!“. Mit berechtigter Genugtuung erzählt
Hans Eibauer von seiner Kreatur, dem Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee.
Hans Eibauer, Schöpfer und Leiter des Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee |
Jahrgang 1948, in Schönsee in einer teils aus dem Elsass stammenden Familie
geboren, wurde Eibauer 1975 – er war zwar politisch engagiert, aber erst 27
Jahre alt – zum Bürgermeister von Schönsee
gewählt. „Mit einer knappen Mehrheit“, wie er unterstreicht. Und er blieb
33 Jahre lang Stadtoberhaupt. Ohne Unterbrechung. Da mussten ihn seine
Mitbürger wohl für sehr vertrauenswürdig halten.
Als Bürgermeister einer oberpfälzischen Grenzstadt hat Hans Eibauer
natürlich auch die Zeit vor der „Wende“ miterlebt. Den Mangel an Beziehungen, an Perspektiven. „Die Welt war hier zu Ende. Alles ging und blickte nach
Westen“, erinnert er sich. Wo es keine Stacheldrahtverhaue gab, keine
Wachtürme, keine bis 1989 unüberwindliche Grenze. Die aber im „kleinen
Grenzverkehr“ (wenn sich Kühe nicht um die Grenzzäune gekümmert hatten und zu
illegalen Grenzgängern geworden waren) mit Pragmatismus und gesundem
Menschenverstand gelöst wurden. Ohne Einbezug, ja ohne Billigung der
offiziellen Stellen.
Eine alte, heute überflüssige Tafel an der Grenze in Friedrichshäng: „Achtung! Staatsgrenze“ |
Doch dann kam es Ende 1989 in der Tschechoslowakei zur „samtenen
Revolution“, zum Wechsel von der kommunistischen Diktatur zur Demokratie. Am 9.
November 1989 fiel die Berliner Mauer, am 23. Dezember 1989 trafen sich Hans-Dietrich
Genscher und Jiří Dienstbier, der deutsche und der tschechoslowakische
Außenminister, an der deutsch-tschechischen Grenze zwischen Waidhaus und
Rozvadov und zerschnitten mit einer Eisenschere den Stacheldrahtverhau. Und am
3. Januar 1990 gab es das erste grenzübergreifende Bürgermeistertreffen im
grenzberührenden Dorf Schwarzach bei Schönsee: Außer Hans Eibauer als
Gemeindeoberhaupt von Schönsee waren auch die tschechischen Kollegen aus Bělá nad
Radbuzou/Weißensulz, Poběžovice/Ronsperg und Hostouň/Hostau eingetroffen.
„Hände reichen – Grenzen streichen“ wurde zum Slogan des neuen Zusammenlebens.
Es begannen Freundschaften, Partnerschaften und Ideen zu gemeinsamen
Projekten. Hans Eibauer suchte nach einer konkreten „Verknüpfungsstätte“ und
fand sie in einer ehemaligen Brauerei in desolatem Zustand. 2006 konnte, nach
politischen und administrativen Hindernissen, das Centrum Bavaria Bohemia mit
seiner kulturellen Tätigkeit über alle Grenzen hinweg beginnen. Allen
Skeptikern zum Trotz.
Der „Wunschbaum“ vor dem Centrum Bavaria Bohemia |
Vor dem architektonisch gelungen gestalteten Centrum steht seit 2012 ein
von zwei Künstlern aus Cham, Andi Dünne und Philipp Klein, ersonnener
„Wunschbaum“, weitere acht wurden in diesem Jahr, im Zuge des
Kulturhauptstadtprogramms Pilsen2015, auf tschechischer wie deutscher Seite aufgestellt:
zum Versiegeln von Wünschen. Einer gibt der deutsch-tschechischen Grenze bei
Friedrichshäng Farbe, direkt neben dem ehemaligen, ehemals unüberwindlichen
Schlagbaum. Am Weg, der in das Nicht-mehr-Dorf Plöß führt. Ich bin hingewandert
nach Pleš, wo ein Onkel von mir in den zwanziger Jahren einige Monate lang
Geistlicher war, in einem damals blühenden Dorf. Aber davon ein anderes Mal.
Einer der Vorzeigekünstler des Centrum Bavaria Bohemia ist Vladimír Líbal. Hans Eibauer zeigt mir einige Karikaturen dieses jetzt 61-jährigen tschechischen Künstlers, die mich sofort begeistern: die Ideen, die feine Ironie, die zarten und doch entschiedenen Umrisse, die feinnervigen Striche, die an Paul Flora (1922–2009) erinnern, den großen Tiroler Zeichner und Karikaturisten.
Vladimír Líbal |
Ich verabrede mich mit Vladimír Líbal in Pilsen, wo er als Verantwortlicher
für die Kulturprojekte Pilsen2015 im Rathaus sitzt. Wir treffen uns in einem
Kaffeehaus. Natürlich. Und nach zwei Minuten ist er für mich ein Mythos. Er hat
die Charta 77 * unterzeichnet und er kam als Dissident ins berüchtigte
Gefängnis in Pilsen-Bory. „Nur zwei Tage“, bemerkt er, „Freunde von mir saßen
dort zwei, drei Jahre.“ Aber er ist der erste Charta-77-Unterzeichner, den ich
kennenlerne, und der erste mir persönlich Bekannte, der bis zu Prozess und
Verhaftung für seine politischen Ideen eingestanden ist. Allerdings wirkt er nicht wie ein Mythos: Er ist einfach ein freundlicher, mit dem Zeichenstift beißender Karikaturist.
Für das Centrum Bavaria Bohemia hat Vladimír Líbal mehrere Postkarten zum
Thema „Kultur ohne Grenzen/Kultura bec hranic“ entworfen, mit ironischen und witzigen
Zeichnungen, in denen er immer wieder die deutschen und die tschechischen
Nationalfarben – das Schwarz-Rot-Gold und das Weiß-Blau-Rot – miteinander
verbindet, ja verknüpft. Und Hans Eibauer, der seit jeher auf der Suche nach
kulturellen, politischen und menschlichen Verknüpfungen ist, hat für seine
Visitenkarte eine der Vladimír-Líbal-Zeichnungen ausgewählt.
Zwei Karikaturen von Vladimír Líbal für die Postkartenserie „Kultur ohne Grenzen / Kultura bec hranic“, herausgegeben vom Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee |
Zwei Männer, die sich über Grenzen hinweg verstehen. Der Pragmatiker und der Träumer. Oder zwei Träumer?
Auch ich verstehe mich gut mit beiden: mit Hans Eibauer (natürlich) auf
Deutsch, mit Vladimír Líbal „mit Händen und Füßen“, wie wir es aus Mangel an
gemeinsamen Sprachkenntnissen für den Notfall ausgemacht hatten. Mit Líbal
verbindet mich auch die Liebe zu Kaffeehäusern, in denen wir – mitten unter den
Menschen und doch von ihnen abgesondert – gut erfinden und schaffen können.
Eines aber unterscheidet uns: Er raucht zu viel, ich trinke zu viel Kaffee.
Einer der vielen türkischen Kaffees, die ich in Pilsen trinke |
* Als „Charta 77“ wird die im Januar 1977 in
der Tschechoslowakei veröffentlichte Petition gegen die Verletzungen der
Menschenrechte durch das kommunistische Regime bezeichnet, zu deren
Unterzeichnern neben vielen anderen Intellektuellen und Politikern auch Václav
Havel und Jiří Dienstbier gehörten.
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