Montag, 20. Juli 2015

Kultur ohne Grenzen


Verknüpfungen zwischen Hans Eibauer und Vladimír Líbal


„Oh ja, da bin ich schon stolz drauf!“. Mit berechtigter Genugtuung erzählt Hans Eibauer von seiner Kreatur, dem Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee.

Hans Eibauer, Schöpfer und Leiter des Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee

Jahrgang 1948, in Schönsee in einer teils aus dem Elsass stammenden Familie geboren, wurde Eibauer 1975 – er war zwar politisch engagiert, aber erst 27 Jahre alt – zum Bürgermeister von Schönsee  gewählt. „Mit einer knappen Mehrheit“, wie er unterstreicht. Und er blieb 33 Jahre lang Stadtoberhaupt. Ohne Unterbrechung. Da mussten ihn seine Mitbürger wohl für sehr vertrauenswürdig halten.



Als Bürgermeister einer oberpfälzischen Grenzstadt hat Hans Eibauer natürlich auch die Zeit vor der „Wende“ miterlebt. Den Mangel an Beziehungen, an Perspektiven. „Die Welt war hier zu Ende. Alles ging und blickte nach Westen“, erinnert er sich. Wo es keine Stacheldrahtverhaue gab, keine Wachtürme, keine bis 1989 unüberwindliche Grenze. Die aber im „kleinen Grenzverkehr“ (wenn sich Kühe nicht um die Grenzzäune gekümmert hatten und zu illegalen Grenzgängern geworden waren) mit Pragmatismus und gesundem Menschenverstand gelöst wurden. Ohne Einbezug, ja ohne Billigung der offiziellen Stellen. 


Eine alte, heute überflüssige Tafel an der Grenze in Friedrichshäng: „Achtung! Staatsgrenze“

Doch dann kam es Ende 1989 in der Tschechoslowakei zur „samtenen Revolution“, zum Wechsel von der kommunistischen Diktatur zur Demokratie. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, am 23. Dezember 1989 trafen sich Hans-Dietrich Genscher und Jiří Dienstbier, der deutsche und der tschechoslowakische Außenminister, an der deutsch-tschechischen Grenze zwischen Waidhaus und Rozvadov und zerschnitten mit einer Eisenschere den Stacheldrahtverhau. Und am 3. Januar 1990 gab es das erste grenzübergreifende Bürgermeistertreffen im grenzberührenden Dorf Schwarzach bei Schönsee: Außer Hans Eibauer als Gemeindeoberhaupt von Schönsee waren auch die tschechischen Kollegen aus Bělá nad Radbuzou/Weißensulz, Poběžovice/Ronsperg und Hostouň/Hostau eingetroffen. „Hände reichen – Grenzen streichen“ wurde zum Slogan des neuen Zusammenlebens.

Es begannen Freundschaften, Partnerschaften und Ideen zu gemeinsamen Projekten. Hans Eibauer suchte nach einer konkreten „Verknüpfungsstätte“ und fand sie in einer ehemaligen Brauerei in desolatem Zustand. 2006 konnte, nach politischen und administrativen Hindernissen, das Centrum Bavaria Bohemia mit seiner kulturellen Tätigkeit über alle Grenzen hinweg beginnen. Allen Skeptikern zum Trotz. 

Der „Wunschbaum“ vor dem Centrum Bavaria Bohemia

Vor dem architektonisch gelungen gestalteten Centrum steht seit 2012 ein von zwei Künstlern aus Cham, Andi Dünne und Philipp Klein, ersonnener „Wunschbaum“, weitere acht wurden in diesem Jahr, im Zuge des Kulturhauptstadtprogramms Pilsen2015, auf tschechischer wie deutscher Seite aufgestellt: zum Versiegeln von Wünschen. Einer gibt der deutsch-tschechischen Grenze bei Friedrichshäng Farbe, direkt neben dem ehemaligen, ehemals unüberwindlichen Schlagbaum. Am Weg, der in das Nicht-mehr-Dorf Plöß führt. Ich bin hingewandert nach Pleš, wo ein Onkel von mir in den zwanziger Jahren einige Monate lang Geistlicher war, in einem damals blühenden Dorf. Aber davon ein anderes Mal.

Einer der Vorzeigekünstler des Centrum Bavaria Bohemia ist Vladimír Líbal. Hans Eibauer zeigt mir einige Karikaturen dieses jetzt 61-jährigen tschechischen Künstlers, die mich sofort begeistern: die Ideen, die feine Ironie, die zarten und doch entschiedenen Umrisse, die feinnervigen Striche, die an Paul Flora (1922–2009) erinnern, den großen Tiroler Zeichner und Karikaturisten.



Vladimír Líbal

Ich verabrede mich mit Vladimír Líbal in Pilsen, wo er als Verantwortlicher für die Kulturprojekte Pilsen2015 im Rathaus sitzt. Wir treffen uns in einem Kaffeehaus. Natürlich. Und nach zwei Minuten ist er für mich ein Mythos. Er hat die Charta 77 * unterzeichnet und er kam als Dissident ins berüchtigte Gefängnis in Pilsen-Bory. „Nur zwei Tage“, bemerkt er, „Freunde von mir saßen dort zwei, drei Jahre.“ Aber er ist der erste Charta-77-Unterzeichner, den ich kennenlerne, und der erste mir persönlich Bekannte, der bis zu Prozess und Verhaftung für seine politischen Ideen eingestanden ist. Allerdings wirkt er nicht wie ein Mythos: Er ist einfach ein freundlicher, mit dem Zeichenstift beißender Karikaturist.


Für das Centrum Bavaria Bohemia hat Vladimír Líbal mehrere Postkarten zum Thema „Kultur ohne Grenzen/Kultura bec hranic“ entworfen, mit ironischen und witzigen Zeichnungen, in denen er immer wieder die deutschen und die tschechischen Nationalfarben – das Schwarz-Rot-Gold und das Weiß-Blau-Rot – miteinander verbindet, ja verknüpft. Und Hans Eibauer, der seit jeher auf der Suche nach kulturellen, politischen und menschlichen Verknüpfungen ist, hat für seine Visitenkarte eine der Vladimír-Líbal-Zeichnungen ausgewählt. 


Zwei Karikaturen von Vladimír Líbal für die Postkartenserie „Kultur ohne Grenzen / Kultura bec hranic“, herausgegeben vom Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee


Zwei Männer, die sich über Grenzen hinweg verstehen. Der Pragmatiker und der Träumer. Oder zwei Träumer?



Auch ich verstehe mich gut mit beiden: mit Hans Eibauer (natürlich) auf Deutsch, mit Vladimír Líbal „mit Händen und Füßen“, wie wir es aus Mangel an gemeinsamen Sprachkenntnissen für den Notfall ausgemacht hatten. Mit Líbal verbindet mich auch die Liebe zu Kaffeehäusern, in denen wir – mitten unter den Menschen und doch von ihnen abgesondert – gut erfinden und schaffen können. Eines aber unterscheidet uns: Er raucht zu viel, ich trinke zu viel Kaffee.

Einer der vielen türkischen Kaffees, die ich in Pilsen trinke

* Als „Charta 77“ wird die im Januar 1977 in der Tschechoslowakei veröffentlichte Petition gegen die Verletzungen der Menschenrechte durch das kommunistische Regime bezeichnet, zu deren Unterzeichnern neben vielen anderen Intellektuellen und Politikern auch Václav Havel und Jiří Dienstbier gehörten.



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